Druckartikel: Wo gegen den Kaiser paktiert wurde

Wo gegen den Kaiser paktiert wurde


Autor: Stefanie Karl

Bad Rodach, Mittwoch, 04. März 2015

Reformationsgeschichte  Anja Augustin bietet Führungen durch die Johanniskirche an. Dabei gibt es vieles zu entdecken, das ein Kirchgänger normalerweise nicht sieht.
Christian Rosenzweig, Hedda Hanft und Anja Augustin auf dem Dachboden der Johanniskirche mit einem antiken Kronleuchter.  Foto: Steffi Karl


von unserer Mitarbeiterin Steffi Karl

Bad Rodach — Der Wind pfeift mächtig durch das hohe Gebälk am weitläufigen Dachboden der Johanniskirche, doch das kann dem alten, verbogenen Kronleuchter, der hier einsam von einem der dicken Dachbalken herabhängt, nichts anhaben. Vielen Stürmen mag er an seinem Platz hoch über dem Kirchenschiff schon getrotzt haben; den Teilnehmern der Kirchenführung unter Leitung von Anja Augustin begegnet er auch nach langer Zeit zwischen den luftigen Balken noch erhaben. Ab Mitte März bietet die Rodacherin über die Gäste-Info der Kurstadt eine neu konzipierte Führung durch die evangelische Stadtkirche an; für Interessierte eine einmalige Gelegenheit, an Orte vorzudringen, die sonst nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind.
Es geht in den Keller unterhalb des alten Chorraumes, der Einblick gewährt in einen katakombe nähnlichen Schachtgang oder über schmale Stufen hinauf bis zur Turmspitze, direkt bis unter die vier mächtigen Kirchenglocken, von denen die älteste noch aus dem Jahr 1649 stammt. Auch Pfarrer Christian Rosenzweig ist beeindruckt, als er plötzlich unterhalb der größten Glocke steht, den Blick nach oben gerichtet auf das mächtige Pendel im erzenen Bauch.
"Die Coburger sind stolz, dass Martin Luther im Jahr 1530 für sechs Monate auf der Veste gelebt hat. Über Rodachs fast noch größere Bedeutung weiß jedoch kaum jemand Bescheid", bedauert Anja Augustin. Angesichts des im Jahr 2017 anstehenden Reformationsjubiläums hat sie sich entschlossen, die herausragenden Rodacher Ereignisse im Rahmen einer Kirchenführung näher zu beleuchten. "Luther ist ja nicht einfach vom Himmel gefallen - die Reformation hat eine lange Vorgeschichte", sagt die Geschichtsexpertin über eine unruhige Zeit, in der die Kirche aufgrund des Ablasshandels zunehmend in die Kritik geriet. "Es ist tatsächlich kaum bekannt, dass eines der wichtigsten Treffen aus dieser Zeit hier bei uns im Chorraum der Johanniskirche stattgefunden hat."

Rodach und das Widerstandsrecht

Denn in der Zeit zwischen dem 6. und 8. Juni 1529 trafen sich die evangelischen Stände in der Stadtkirche des zentral, aber dennoch nicht zu prominent gelegenen Ackerbürgerstädtchens im südlichsten Teil Kursachsens, um über die Verteidigung des evangelischen Glaubens und seiner Anhänger zu diskutieren. Debattiert wurde unter anderem über die Frage eines Widerstandsrechtes gegen den Angriff eines von Gott eingesetzten und damit doch eigentlich unfehlbaren Kaisers. Damit wurden nach Ansicht von Anja Augustin in Bad Rodach wesentliche Schritte auf dem Weg zur Reformation vollzogen: "Zusammengefasst also die Trennung von Gott und Kaiser und die Anerkennung einer Staatsgewalt, die auch fehlbar sein kann, gegen die man sich zur Wehr setzen darf."
Schriftlich fixiert wurden die Ergebnisse der Rodacher Tagung in zwei Dokumenten.Damit ist für die studierte Politikwissenschaftlerin klar: "Rodach ist eine wirklich bedeutende Station auf dem Lutherweg, denn hier erkannte man das Widerstandsrecht. Und das hat nach meiner Meinung sogar mit unserem heutigen Widerstandsartikel im Grundgesetz zu tun. Nur hat das meines Wissens nach keiner so ausgesprochen." Auch wenn besagter Artikel aus rechtsgeschichtlicher Sicht als Reaktion auf das missglückte Attentat Stauffenbergs auf Hitler in die Verfassung übernommen wurde, so stamme der Grundschritt für derartige Überlegungen aus der Tagung von Rodach im Juni 1529.
Mehr Aufmerksamkeit für die bedeutsame Zusammenkunft im Chorraum der Johanniskirche forderte daher auch der Pfarrer und Historiker Rainer Axmann: "Das war ein Fixpunkt der Reformationsgeschichte - fast vergessen - , dessen ausführliche Würdigung in der seriösen Geschichtsschreibung der Reformation immer noch aussteht."
Der Bad Rodacher Pfarrer Christian Rosenzweig ist am Ende der zweistündigen Führung erstaunt und begeistert zugleich: "Mich hat es tatsächlich überrascht, wie geschichtsträchtig die Kirche gerade für die Reformationsgeschichte ist. Hier kann man in der Tat viel entdecken wenn man ins Detail geht, auch als Pfarrer." Den Abstieg von der hohen Glockenstube tritt er nur sichtlich zögernd an, zu faszinierend ist der Aufenthalt im altehrwürdigen Balkenwerk. Dann aber ist doch Eile geboten: Nur noch vier Minuten bis zum nächsten Glockenschlag zur vollen Stunde.