Druckartikel: Wo der Samstagabend erst am Sonntag früh um 2 beginnt...

Wo der Samstagabend erst am Sonntag früh um 2 beginnt...


Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Mittwoch, 05. Februar 2020

Zugegeben, auch wir haben früher vorgeglüht. Haben uns vorm Fasching getroffen, gemeinsam kostümiert und dabei den ein oder anderen Kirschlikör und Sekt getrunken. Aber spätestens um 22 Uhr standen wi...


Zugegeben, auch wir haben früher vorgeglüht. Haben uns vorm Fasching getroffen, gemeinsam kostümiert und dabei den ein oder anderen Kirschlikör und Sekt getrunken. Aber spätestens um 22 Uhr standen wir grölend auf der Tanzfläche und verschwanden nach drei, vier Liedern in der Bar. Dort haben wir Willi, Whisky-Cola oder Wodka-O in Runden bestellt. Es hat immer mal ein anderer was ausgegeben. Keiner kam zu kurz, keiner konnte sich rausreden. Zwischen drei und vier lagen wir in unseren Betten - und am Sonntag krabbelten wir auch erst wieder zu den Klößen raus.

Den Rest des Jahres organisierten wir eigene Partys oder tingelten von Dorffest zu Dorffest. Eine Bar- und Clubszene gab es damals noch nicht. Ganz generell sah unsere Freizeitgestaltung in den 80ern ganz anders aus als heute. Aber: Über die guten, alten, digitallosen Zeiten wird viel zu viel geschrieben. Darum soll es mir nicht gehen.

Ufuk Iyen, seit 25 Jahren Clubbesitzer in Coburg, würde mir auch sofort widersprechen: "Die Jugendlichen von heute sind viel anständiger als damals. Sie trinken weniger, rauchen weniger!", sagt er. Er macht das am Umsatz fest.

Als Betreiber des "Hinz&Kunz", "Monkeys" und von der "Wilden Hilde" kann er Zahlen vergleichen. Was vor der Tür passiert, will er nicht beurteilen. Natürlich weiß er, dass die jungen Leute heute vielfach unverhältnismäßig viel vorglühen: Eine Flasche Wodka auf zwei Flaschen Milch oder Maracujasaft schonen den Geldbeutel in der Nacht. Denn was vorher billig eingekauft und getrunken wird, braucht später im Club nicht teuer bezahlt werden. Doch wer betrunken ist, kommt bei Iyen nicht durch die Tür.

Auch beim Dorffasching des TSV Elsa wird darauf geachtet, wer wie reinkommt. Wenn denn mal jemand reinkommt. Beginn ist um 21 Uhr. Spätestens ab 20.30 Uhr müssen Kasse, Garderobe und Bar besetzt sein. Die erste Schicht an ehrenamtlichen Helfern steht parat. Bis es jedoch richtig los geht, ist es 23 Uhr. Während drinnen im Saal die TSV-Helfer die Zeit totschlagen, stehen die Jugendlichen aus dem Ort und von außerhalb draußen vor der Tür, trinken ihre mitgebrachten Getränke und lassen dann Flaschen und Gläser einfach liegen. Eine Helferin nennt das respektlos gegenüber allen, die sich für eine Dorfgemeinschaft engagieren. "Wenn dann mal einer reinkommt, bestellt er einen Whisky-Cola für 2,50 Euro. Alle anderen ordern selbst. Sowas gab es früher nicht!" Vorsitzender Herbert Seidel beobachtet das Phänomen seit Jahren. Immer weniger zahlende Gäste - da kann sich ein Verein auch keine Band, nur noch einen DJ leisten. Der Umsatz hat sich in den vergangenen Jahren halbiert.

Um dem Trend entgegenzuwirken, versucht man in Elsa, die Jugend verstärkt einzubinden. Die italienische Nacht wird sogar ganz von der Dorfjugend veranstaltet. Beim Auf- und Abbau von Dorffesten zieht Herbert Seidel den Nachwuchs mit ran. "Sie sollen sehen, wie viel Arbeit drin steckt. Wir gehen da gerne als Vorbilder voran - in erster Linie gelingt uns das jedoch nur bei unseren eigenen Kindern." Seidel ist ein ewiger Optimist, wie er selbst sagt, und deshalb schafft er es auch, "seine" Ehrenamtlichen immer wieder zu motivieren. Ärgerlich nennt er das Phänomen der verschobenen Ausgehzeiten und Verhaltensweisen dennoch.

Apropos, verschobene Ausgehzeiten. Das wiederum ist seit Jahren ein Thema - auch in der Coburger Innenstadt. Vor etwa vier Jahren versuchte Ufuk Iyen die Coburger Gastronomen zu früheren Schließzeiten zu bewegen. Keine Chance. Hintergrund war nicht nur der nächtliche Lärm im Steinweg. Es sollte damit versucht werden, die Nachtschwärmer etwas früher in die Lokale zu locken. "Doch selbst Freigetränke, freier Eintritt oder Happy Hours nützen nichts", sagt Iyen.

Der Samstagabend beginnt in Coburgs Clubszene am Sonntag früh um halb zwei. "Vorher brauchst Du nicht in die Stadt, da ist ja nix los", bestätigt eine 22-Jährige Clubgängerin. In der "Wilden Hilde", wo sich die Techno-Szene trifft, geht's manchmal schon etwas früher los, stellt Iyen fest. Doch das "Hinz&Kunz" oder "Monkeys" füllt sich tatsächlich erst ab 2 Uhr. Kein Wunder, dass die Clubs auch erst um 23 Uhr öffnen - vor fünf Jahren ging's schon um 21 Uhr los. Schluss ist um 4.45 Uhr. "Da geht bei uns das Licht an."

Bis Iyen und sein Team allerdings am Sonntag ins Bett kommen, ist es meist zwischen sieben und acht Uhr. "Für uns wäre es natürlich schöner, wenn wir früher schließen könnten."

Anstrengend nennt er auch die Diskussionen an der Tür. "Denn selbstverständlich verlangen wir auch um 3 Uhr noch Eintritt. Das müssen wir dann oft erklären!" Aber vorher sei ja auch nix los. Kostenloser Eintritt oder ein Freigetränk vor Mitternacht locken niemanden an. "Wenn ich am Freitagabend um 23 Uhr in den Steinweg gehe, denke ich, ich bin in einer verlassenen Stadt!"

Das Phänomen ist nicht auf Coburg beschränkt. Einen Anteil an den späten Ausgehzeiten hätten auch die Entwicklung von Netflix & Co. Die jungen Leute treffen sich, schauen ihre Staffeln und machen sich dann langsam auf den Weg. Mittlerweile sind alle an diesen Rhythmus gewöhnt. Iyen sieht keine Chance, das Nachtleben wieder früher zu starten.

In der Bamberger Altstadt, wo am Wochenende die Lokale spätestens um 4 Uhr schließen, wird es ab halb drei, drei ruhig, erzählt ein dortiger Türsteher. Doch Iyen entgegnet: "Die Sperrzeit hat die Bamberger Szene kaputt gemacht. Clubs gibt es so gut wie keine mehr in der Innenstadt!"

Das Coburger Angebot dagegen ist vielfältig. Neben den genannten gibt es noch eine ganze Reihe von Tanz- und Musikclubs, die bis in die frühen Morgenstunden geöffnet haben.

Und für alle Ü40 bietet Coburg mittlerweile auch eine schöne Auswahl an Lokalitäten, in denen wir uns an "alte Zeiten" erinnern und neue aufleben lassen können. Da lob ich mir meine Generation, mit der ich auch schon um 22 Uhr auf den Putz hauen kann.