Druckartikel: Wie ein Fläschchen perfekt wird

Wie ein Fläschchen perfekt wird


Autor: Hendrik Steffens

Kleintettau, Dienstag, 05. Januar 2016

Glas ist Albert Ebertschs Leben. Seit 71 Jahren ist der 86-jährige Tettauer mit der Firma Heinz verbunden. Noch heute packt er in der Lehrwerkstatt mit an - und bringt mit seinen Erinnerungen manchen Azubi zum Staunen.


Hendrik Steffens

Wohl jedem wandert mal ein Glasfläschchen durch die Finger, zu dem Albert Ebertsch irgendeinen Bezug hat. Kölnisch Wasser 4711, Tabac-Parfüm, Underberg ... 71 Jahre seines Lebens hat der 86-Jährige als Teil der (Tettauer) Glasindustrie verbracht. Auch heuer steht er noch samstags am Halbautomaten im Europäischen Flakonglasmuseum und zeigt den Leuten, wie ihre Parfüm- oder Schnapsfläschchen früher gemacht worden wären.
Ob er Glasmacher sei? Auf die Frage schüttelt Ebertsch den Kopf, zögert kurz und meint dann: "Ich wurde eigentlich nur in die Produktion geholt, wenn etwas nicht so lief, wie es sollte." Wenn eine Maschine nicht richtig eingestellt war oder ein Arbeiter einen Glasbehälter mit zu wenig Gefühl behandelte. Ebertsch führt den Reporter durch das Museum in die Lehrwerkstatt.


Das Glasmachen nebenbei gelernt

Der Vater des Tettauer Bürgermeisters lernte bei Heinz-Glas Betriebsschlosser, war dann Chef-Chauffeur, Angestellter im Werksfernverkehr, Leiter des Werkzeugbaus und zuletzt zuständig für Qualitätssicherung und Entwicklung. Eine Maschine zu bedienen, die Glasflaschen produziert, war nie seine originäre Aufgabe. Wie man einen Halbautomaten steuert, hat Ebertsch nebenbei aufgeschnappt, in der Mittagspause bei Kollegen, sagt er. Trotzdem konnte er die Sache mit dem Glasmachen besser als die meisten. Sei vielleicht mehr Berufung als Beruf, meint der Reporter. Ebertsch zuckt mit den Achseln.
Außerhalb der Vorführ-Werkstatt im Museum sind Halbautomaten längst Geschichte. Die vollautomatische Maschine läuft schon, wenn Lehrling Max Motschmann (19) morgens um 5.45 Uhr zur Frühschicht aufläuft. Sie läuft immer, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Rohmasse künftiger Glasflakons tropft rotglühend in Formen und wird als fertiger Flakon auf dem Fließband abgeführt. Das Rattern und Zischen der Mechanik ist ohrenbetäubend.
"Ich baue meine Maschine je nach Flaschenart um und stelle sie so ein, dass die Behälter so perfekt wie möglich rauskommen", erklärt Max Motschmann einen typischen Arbeitsvorgang, bei dem unter anderem der Fall der heißen Glastropfen reguliert wird. Der Gebersdorfer (Thüringen), der heute die gänzlich andere Bedienung eines Halbautomaten lernt, arbeitet als Verfahrensmechaniker Glastechnik in Frühschicht. An den Rhythmus hat er sich gewöhnt. "Seit ich meinen Führerschein habe, ist es kein Problem mit dem Pendeln", sagt der 19-Jährige. Früher sei er immer mit seinem Vater gefahren, der ebenfalls bei Heinz arbeitet. Die Kleintettauer Glashütte hat es so an sich, Familien generationenübergreifend zu halten.


Zwölf Kilometer zu Fuß zur Arbeit

Das war schon so, als Albert Ebertsch 1944 seine Lehre begann. Ansonsten war es damals aber "völlig anders".
Von seinem Lehrherrn Heinrich Heinz wurde dem 15-jährigen Ebertsch ausnahmsweise erlaubt, die Arbeit montags immer um 8 Uhr zu beginnen. Klingt gut. Aber trotzdem musste er um 3.30 Uhr aufstehen, weil er von seiner Heimat Tschirn aus zwölf Kilometer zur Bahnstation nach Förtschendorf gehen musste. Mit der Bahn fuhr er über Pressig und Heinersdorf nach Alexanderhütte. Von dort ging er zu Fuß nach Kleintettau. Unter der Woche wohnte er in der Betriebsunterkunft. Jeden Samstag um 14 Uhr wanderte er 26 Kilometer nach Hause, im Winter fuhr er mit Skiern.
Undenkbar für Lehrling Max Motschmann. Auch sonst waren viele Dinge anders. "Jeden Morgen kam pünktlich um 6.30 Uhr die wichtigste Mitarbeiterin - die Frau, die das Bier brachte", sagt Ebertsch, lächelt und weist auf einen Bildschirm im Ausstellungsraum des Museums. Dort läuft ein Film ab, in dem er selbst als junger Mann zu sehen ist, der dem "Biermädchen" gegen Ware etwas Geld in die Hand drückt. Es wird deutlich: Wenn Albert Ebertsch durch das Flakonglasmuseum führt, dann ist das auch eine Führung durch 71 Jahre seines Lebens. Und so lange es möglich ist, will der Mann, der untrennbar mit der Glashütte verwoben ist, weiter im Museum mitwirken und gerne auch mal den "jungen Leuten mit Rat zur Seite stehen". Glasmachen ist seine Leidenschaft.