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Wie die Konzerthalle an der Regnitz zum Klang-Labor wird


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Bamberg, Freitag, 23. November 2018

Martin Fröst ist ein Musik-Verführer. Der schwedische Klarinettist und Dirigent ist ein Musiker, der mit besonderer Vorliebe in die Rolle des unerschrocken neugierigen Fremdenführers durch das Wunderr...
Umjubeltes Bamberg-Debüt: Martin Fröst. Foto: Jochen Berger


Martin Fröst ist ein Musik-Verführer. Der schwedische Klarinettist und Dirigent ist ein Musiker, der mit besonderer Vorliebe in die Rolle des unerschrocken neugierigen Fremdenführers durch das Wunderreich der Klänge schlüpft.

Wenn Fröst als Klarinette spielender Dirigent auf dem Podium steht wie beim Studentenkonzert der Bamberger Symphoniker, muss niemand Angst haben vor moderner Musik. Schräge Klänge, komplexe kompositorische Strukturen, neue Töne, die unbekannten Regeln folgen? Bei Fröst ist das scheinbar überhaupt kein Problem. Das Publikum lauscht ihm gebannt, auch wenn es die Musik, die er spielt, gar nicht kennt oder nicht auf Anhieb völlig versteht. Denn Fröst gelingt es, die Faszination, die die Musik auf ihn ausübt, scheinbar mühelos auf seine Zuhörer zu übertragen.

"Retrotopia" hat Fröst sein aktuelles Projekt mit einem nur scheinbar verrätselten Motto versehen. Denn schnell entschlüsselt sich das Wort-Gebilde als Kombination aus Retrospektive und Utopie, aus Rück- und Ausblick.

Im Fall von Mozart und Beethoven klingt die vermeintlich betagte Musik in Kombination mit zeitgenössischen Klängen keineswegs alt, sondern fast unbekümmert frisch. Mozarts Ouvertüre zu "Hochzeit des Figaro" - Fröst lässt sie von den Bamberger Symphonikern mit Elan und geschärften Konturen musizieren. Und Beethovens gerne unterschätzte "Vierte" - sie enthüllt in seiner Interpretation mitreißenden Schwung, aber auch gesangliche Feinheiten.

Martin Frösts Dirigat wirkt dabei wie eine in die Luft geworfene Zeichnung. Bei Mozarts Ouvertüre wie bei Beethovens "Vierter" scheint Fröst vor allem an den Linien und an den Spannungskurven der Musik interessiert, die er mit vibrierender, manchmal fast nicht zu bändigender (Bewegungs-)Energie nachzeichnet. Das Orchester folgt seinem herausfordernden Dirigenten mit großem Elan und großer Konzentration.

Schroff und zärtlich

Ausschließlich moderne Klänge dann im zweiten Teil. Jacob Mühlrads "Angelus Novus", inspiriert von einer aquarellierten Zeichnung Paul Klees aus dem Jahr 1920, entfaltet eine beachtliche Sogwirkung. Diese Musik schwirrt und seufzt, ballt sich zu Dissonanzen zusammen und entschwebt.

"Nomadia" haben die Brüder Göran und Martin Fröst eine Gemeinschaftskomposition genannt - eine Musik voller verblüffender Assoziationen, voller spannender Übergänge und überraschender Verbindungen, schroff und zärtlich, kraftvoll und zerbrechlich zugleich. Zusammengehalten wird sie nicht zuletzt durch die Intensität, mit der Fröst als Solist und Dirigent in Personalunion die auseinander laufenden Fäden verbindet.

In Jesper Nordins "Emerge" verwandelt Fröst die Konzerthalle an der Regnitz vollends in ein Klanglabor - mit Hilfe einer Gestrument getauften Software, die der Komponist bei der Bamberger Erstaufführung am Laptop eigenhändig steuert. Diese Software übersetzt die mit Sensoren aufgenommenen Bewegungen, die Fröst in die Luft zeichnet oder schneidet, in faszinierende Klänge. Dahinter verschwindet fast der Umstand, dass Fröst nicht zuletzt auch ein fantastischer Klarinettist ist, der die Möglichkeiten seines Instruments beinahe in jede Richtung auslotet und mit Tönen fasziniert, die aus der Stille auftauchen.

Fröst macht seinen Auftritt als dirigierender, zweisprachig moderierender Solist regelrecht zur Performance, die auch das Orchester in Bann zieht. Stehende Ovationen und ein raffiniert arrangierter Klezmer-Tanz als umjubelte Zugabe. jb