Wie der "Feldherrnhügel" entstand
Autor: Günter Dippold
Lichtenfels, Sonntag, 11. Oktober 2020
Der Bahnbau in den 1840er Jahren veränderte das Lichtenfelser Stadtbild und sorgte unter anderem für die Gaabsweiher.
Der Neubau der ICE-Strecke hat unsere Landschaft am Obermain verändert, meist nicht gerade zu ihrem Vorteil. Eingriffe in die gewachsene Landschaft brachte freilich auch schon der erste Bahnbau in den 1840er Jahren mit sich.
Am deutlichsten ist dies beim Streckenteil zwischen dem Bahnhof Lichtenfels und dem Haltepunkt Michelau zu erkennen. Der Bau wurde 1844 in Angriff genommen. Ein bis zu 10,3 Meter tiefer Geländeeinschnitt musste für die Bahntrasse geschaffen werden. Er beginnt am damaligen Ortsrand von Lichtenfels Richtung Nordosten, unterhalb der heutigen Gabelsbergerstraße, und er endet am östlichen Ende von Oberwallenstadt. Ein Teil des Aushubs wurde neben dem Einschnitt gelagert, so dass auf Oberwallenstadter Flur ein Hügel mit rechteckigem Grundriss entstand, scherzhaft "Feldherrnhügel" bezeichnet.
Für den Maindamm verwendet
Er befand sich etwa an der Ecke Keltenstraße/Pommernstraße und wurde erst 1968 abgetragen. Die Erde verwandte man für den Bau des Maindamms. Der Geländeeinschnitt veränderte alte Verkehrswege. Die Landstraße nach Kronach bog ungefähr auf Höhe des heutigen Finanzamts nach Norden ab. Sie verlief auf der Linie der Alten Reichsstraße durch Oberwallenstadt und weiter auf den Krappenberg zu. Durch die Bahn war diese Straße unterbrochen. Es musste südlich des Einschnitts eine neue Kronacher Straße bis zum Fuß des Krappenbergs gebaut werden, parallel zur Bahn.
Die Zeiten, da sich Fuhrwerke durch Oberwallenstadt wälzten, waren vorüber. Das Dorf, einst an einer Fernstraße, lag nun abseits. Die Verbindung von Lichtenfels nach Ober- oder Unterwallenstadt bestand seit dem Bahnbau in einem Weg, der in der Verlängerung des Pabstenwegs die Bahnlinie ebenerdig querte und sich dann gabelte. Ferner wurde 1844 oder wenig später bei Oberwallenstadt eine hölzerne Brücke von der neuen Kronacher Landstraße über die Bahn gebaut (Brückenberg).
Weiter westlich, näher zur Stadt Lichtenfels, entstand erst 1933 eine zusätzliche Brücke über den Einschnitt (Dr.-Martin-Luther-Straße). Der Geländeeinschnitt hatte nachteiligen Einfluss auf das Grundwasser: Die Oberwallenstadter Brunnen waren gefährdet. Der Gemeindevorsteher Nikolaus Pabst klagte 1845, "daß unsere Brunnen schon jetzt kaum die Haelfte mehr liefern und zu befürchten steht, daß sie ganz versiegen, wenn noch tiefer gegraben wird".
Bescheidene Entschädigung
Die Nürnberger Eisenbahnbau-Kommission verweigerte kühl jede Abhilfe: "ob durch Abgrabung dieser Quellen den benachbarten Grundbesitzern oder Dorfsbewohnern ein Schaden zugehe, ist gleichgiltig und begründet durchaus keine Rechtsansprüche". Nach jahrelangem Schriftverkehr erlangten die Oberwallenstadter 1849 vom Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten wenigstens eine bescheidene finanzielle Entschädigung.
Kaum war das Gelände durchschnitten, musste der Main verlegt werden. Nachdem der Fluss Michelau passiert hatte, strömte er nach Süden auf den Krappenberg zu, prallte ab und nahm seinen Weg weiter nach Nordwesten. Diese Flussschlinge war der vorgesehenen Bahntrasse im Weg. Deshalb begradigte man den Main und verlegte das Flussbett auf die nördliche Seite der Bahn. Man warf einen Bahndamm auf und trennte dadurch die Schlinge unterhalb des Krappenbergs vom Fluss. Diese ehemalige Mainschlinge heißt heute Gaabsweiher - nach dem Lichtenfelser Konditor Carl Gaab, der von 1879 bis 1908 das Fischrecht in diesem Gewässer besaß.
Für den Bahndamm längs des neuen Mainbetts verwandte man das Erdreich vom Einschnitt zwischen Lichtenfels und Oberwallenstadt. Zusätzlich musste er "gegen den Main mittelst Steinwurf und Böschungs-pflaster vor Beschädigungen durch Hochwasser etc. etc." geschützt werden.
ICE verbindet nur Metropolen
Seit den Baumaßnahmen, die unsere Landschaft grundlegend verändert haben, sind 175 Jahre ins Land gegangen. Wir sind an die damalige Gestaltung des Geländes längst gewöhnt. Man kann nur hoffen, dass auch manche Wunden, die der jüngste Bahnbau geschlagen hat, auf derartige Weise vernarben werden. Freilich gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen der Bahnlinie, die in den 1840er Jahren gebaut wurde, und der modernen ICE-Trasse: Jene Fernbahn von Lindau nach Hof nutzte unserer Region, weil etliche Orte einen Anschluss an das damals hochmoderne Verkehrsmittel fanden. Die neue Bahnlinie verbindet dagegen bloß Metropolen und lässt den ländlichen Raum dazwischen links liegen.