Widerstand neu organisiert
Autor: Ralf Ruppert, Günter Flegel
Bad Kissingen, Freitag, 17. März 2017
Der Landkreis tritt dem Verein "Bündnis Hamelner Erklärung" an, um das Südlink-Verfahren zu begleiten. Die Vorschläge der Netzbetreiber für die neuen Höchstspannungsleitungen liegen auf dem Tisch. Das letzte Wort hat die Bundesnetzagentur.
und Ralf Ruppert
Der Stromnetzbetreiber Tennet hat die Trassen für den Südlink von Hamburg über Grafenrheinfeld nach Baden-Württemberg und den Südostlink von Magdeburg nach Landshut festgelegt. Eingeflossen sind dabei zahlreiche Änderungsvorschläge des "Hamelner Bündnisses", dem auch der Landkreis Bad Kissingen angehört. 20 Gebietskörperschaften sind darin bereits organisiert - "länder- und parteiübergreifend", betonte Landrat Thomas Bold (CSU) und verwies auf die große Schlagkraft des Bündnisses: "Dadurch konnten wir auf Augenhöhe mit Tennet oder dem Wirtschaftsministerium agieren." Das soll so bleiben.
Für neu betroffene Kreise offen
In seiner jüngsten Sitzung hat der Kreisausschuss des Bad Kissinger Kreistages der Gründung eines entsprechenden Vereins zugestimmt: "Bündnis Hamelner Erklärung" soll er heißen. Dabei ist der Landkreis Hameln selbst von den neuen Trassen-Vorschlägen nur noch ganz am Rand betroffen. Andere Landkreise, die bisher schon dabei waren, sind sogar komplett aus der Trasse raus, wie etwa der Landkreis Höxter. "Trotzdem treten sie dem Verein bei", berichtete Bold. Allen Landkreisen, durch die Südlink nun neu geht, vor allem in Thüringen, sei zudem die Mitgliedschaft angeboten worden."Wenn man bei so einem Thema alleine anfängt, was sind da zehntausend Euro?", fragte Bold. Bisher habe es sich um einen "Zusammenschluss auf Zuruf" gehandelt. Der Landkreis Hameln habe alle bisherigen Honorare der Rechtsanwaltskanzlei de Witt und des Umweltplanungsbüros Oecos vorfinanziert und später mit den anderen Landkreisen abgerechnet. Die Planer seien auf Groß-Projekte wie ICE-Trassen, Flughäfen oder Pipelines spezialisiert. Eine "mittlere sechsstellige Summe" sei bisher in den Widerstand gegen Südlink geflossen, den Anteil des Landkreises bezifferte Kreis-Wirtschaftsförderer Jürgen Metz auf "gut zehntausend Euro".
"Auf jeden Fall betroffen"
"Das kann man natürlich nicht auf Dauer so lassen", begründete Bold die Gründung eines Vereins, der die weiteren Planungen von Tennet und das Verfahren der Bundesnetzagentur begleiten soll. Der Landrat ging auf mehrere Erfolge ein: Der erste Antrag von Tennet sei "zerpflückt" worden, die Erdverkabelung und Teile des neuen Gesetzes habe der Hamelner Kreis beeinflusst. "Unser Wunsch wäre natürlich gewesen, dass man an Grafenrheinfeld komplett vorbei kommt", nannte Bold aber auch die Grenzen des Verhandelbaren. "Wir sind im Landkreis auf jeden Fall betroffen", kommentierte der Landrat das aktuelle Ergebnis, und: "Auch der Westen ist noch nicht raus.""Dieser Zusammenschluss ist absolut zielführend", sagte Roland Limpert, PWG-Kreisrat aus Zeitlofs. Der Zusammenschluss sei notwendig für eine gute Lobby-Arbeit, sagte auch CSU-Fraktionsvorsitzender Siegfried Erhard. "Das war für alle ein Lernprozess, und das wird auch lehrreich sein für künftige Projekte", meinte SPD-Kreisrat Ernst Stross. "Wir werden den Schritt jetzt gehen müssen, das sind wir den Bürgern im Osten des Landkreises schuldig", sagte auch der ödp-Kreisrat und Burkardrother Bürgermeister Waldemar Bug, der allerdings dafür plädierte, weiter am Ziel festzuhalten, die Südlink ganz zu verhindern. "Mit einer Verweigerung kommen wir jetzt nicht mehr weiter", widersprach Bold.
40 Hektar in Rannungen
Vom neuen Vorschlagskorridor sind vor allem Münnerstadt, Maßbach, Rannungen und Oerlenbach betroffen. Die vier Bürgermeister wollen sich bald treffen und eingehend mit der Thematik befassen. In der Bauphase müsste man mit einem 100 Meter breiten Korridor rechnen, auf dem gearbeitet wird, sagt Fridolin Zehner (CSU/FW). Der Rannunger Bürgermeister hat das für seine Kommune bereits durchdacht. Er rechnet mit rund 40 Hektar Fläche, die entlang der A 71 beim Bau gebraucht würde. Betroffen könnten die Waldabteilungen Hart, Hoher Berg oder Heimlicher Berg sein, also Privat- und Gemeindewald. "Es würde jedenfalls eine große Schneise geschlagen", ist Zehner sicher und befürchtet eine "Riesen-Landschaftsstörung".Auch Oerlenbachs Bürgermeister Franz Kuhn (CSU) hat sich die Planung angesehen: Wie die Stromtrasse am Gewerbegebiet direkt an der Autobahn vorbeigeführt werden soll, ist ihm noch schleierhaft. Vielleicht wären auch Waldflächen auf Rottershäuser Gemarkung betroffen. Sich mit den Nachbargemeinden zu solidarisieren, hält Kuhn in jedem Fall für sinnvoll. Dafür, dass die Bürger sich öffentlich noch nicht bemerkbar machten, hat der Bürgermeister eine Erklärung: Als die Stromtrasse seinerzeit über der Erde gebaut werden sollte, fachte das die Menschen mehr zum Widerstand an, als die jetzt geplante unterirdische Verlegung der Stromkanäle.
Wenig Kritik aus der Bevölkerung
In der Marktgemeinde Maßbach wären Teile der Poppenläurer Flur von der Großmaßnahme betroffen, sagt Bürgermeister Matthias Klement (CSU). Er habe in den Bürgerversammlungen bereits mehrfach auf diese Thematik hingewiesen. Aber aus der Bevölkerung sei "wenig Rückmeldung" gekommen. Er habe eher Akzeptanz gespürt. Was Landwirte angeht, die Äcker hergeben müssen, gebe es seinen Informationen nach gerade Gespräche über Ausgleichszahlungen. Er persönlich sei "schon unglücklich" darüber, dass die Trasse neuerdings im östlichen Landkreis verlaufen soll. Dennoch geht er davon aus, dass die Stromtrasse gebaut werden muss ("Es haben sich genug Experten mit dem Thema beschäftigt"). Von Solidarität hält auch Münnerstadts Zweiter Bürgermeister Michael Kastl viel. In seiner Kommune wäre das Areal zwischen Münnerstadt und Althausen, entlang der Autobahn, betroffen. Dabei ginge es dann um freie Flächen, viele davon in Privathand. Aber auch in ein Waldgebiet müsse man eine Schneise schlagen, sagt Kastl. Rein theoretisch müsste das Erdkabel auch durchs Wasserschutzgebiet verlegt werden, was dem Zweiten Bürgermeister jedoch spanisch vorkommt. Dass nun dieses Erdkabel verlegt werden muss, ist für ihn nun fast eine logische Konsequenz.
"Über Gebühr belastet"
Dennoch sehe er das Ganze "skeptisch" - und zwar auch aus städtischer Sicht. Denn Münnerstadt sei in sich gefangen, wenn es beispielsweise um die Ausweisung von Gewerbegebieten oder Wohnraum geht. Solche Planungen seien von wenig Erfolg gekrönt, weil man hier ein Wasserschutzgebiet, dort Naturschutzbelange und wieder woanders die Hochwasserzone zu beachten habe. Münnerstadt sei mit solchen Einschränkungen "über Gebühr belastet", sagt Kastl. Daher werde die Stadt eine weitere Einschränkung nicht ohne Weiteres hinnehmen.Südlink ist Teil der Netzentwicklungspläne (NEP), die laufend fortgeschrieben werden, weil große Kraftwerke wie das AKW in Grafenrheinfeld stillgelegt werden und gleichzeitig neue Wind- und Solarkraftwerke entstehen. Nach den aktuellen Zahlen der Bundesregierung müssen insgesamt 2800 Kilometer Stromleitungen optimiert und 2600 Kilometer komplett neu gebaut werden. Dafür stehen Investitionen von mehr als 22 Milliarden Euro im Raum.
Die 800 (Südlink) und 560 (Südostlink) Kilometer langen Leitungen sollen im Idealfall gerade (Luftlinie) verlegt werden. Das spart Kosten, denn ein Erdkabel ist im Vergleich zur Freileitung fünf- bis achtmal teurer. Dem Ideal stehen aber Berge und Städte, Naturschutzgebiete, Kulturgüter und anderes im Weg. Diese Hindernisse zwingen den Netzbetreiber zu einem Zickzack-Kurs.
Viele technische Fragen ungeklärt
Deshalb ist die Planung so kompliziert; bei der ersten öffentlichen Anhörung liefen bei Tennet alleine für den Südlink mehr als 6000 Einwendungen ein. Der Bauernverband hat bereits deutlich gemacht, dass er die Pläne nicht einfach abnicken wird, er möchte eine Art "Maut" für die Stromautobahn, weil die betroffenen Flächen dauerhaft nur eingeschränkt bewirtschaftet werden können - nicht zuletzt, weil die 400 000 Volt, die durch die Erdkabel fließen, den Boden erwärmen. Dass die Kabel-Verleger bei der Graberei in den Äckern auf zahlreiche historische Relikte stoßen werden, ist ein weiteres unkalkulierbares Risiko. Im Wald müssten 20 bis 40 Meter breite Schneisen geschlagen werden und dauerhaft frei gehalten werden. Auch aus technischen Gründen werden die Stromtrassen um Rhön, Spessart und Fichtelgebirge herum kurven. Auch bei Binnengewässern oder den vielen Brücken entlang der A 71 sind viele technische Fragen noch nicht gelöst.