Wenn Kirche auf Lyrik trifft - ein bewegender Abend voller Poesie
Autor: Birgit Kunig
Bad Staffelstein, Samstag, 20. Mai 2017
"Es ist das Existenzielle", sagt Professor Elmar Koziel, "was das Geistliche mit der Lyrik vergleichbar macht. Die Dichtung spielt praktisch dem Spirituelle...
"Es ist das Existenzielle", sagt Professor Elmar Koziel, "was das Geistliche mit der Lyrik vergleichbar macht. Die Dichtung spielt praktisch dem Spirituellen in die Hände", wenn man ihn fragt, ob es nur ein Ausgleich sei oder eine andere Seite seines Wesens. Bereits zum fünften Mal fand im evangelischen Gemeindehaus von Staffelstein ein Abend voller Poesie und musikalischer Untermalung statt.
Pastoralreferent Josef Ellner kündigt das Programm in launiger Weise an: "Normalerweise pilgern die Menschen auf den Berg - aber heute ist der Berg nach unten gekommen." Das Programm, was hier auf die Beine gestellt wurde, ist einprägsam und mehr als bewegend. "Gedichte, die das Leben schreibt", heißt es, und das Publikum im gut besuchten Gemeindesaal strotzt voller Neugier.
Koziel, Leiter des Bildungszentrums in Vierzehnheiligen und habilitierter Theologe, rezitiert Gedichte bekannter und weniger bekannter Autoren, aber alle haben mit den existenziellen Fragen des Lebens zu tun. Mit dabei ist David Höppner, der erst 16-jährige Pianist aus Unterneuses, der schon bei "Jugend musiziert" abgeräumt hat. Heute brilliert er mit Stücken von Beethovens 13 Variationen, Präludien von Shostakowitsch und einer russischen Toccata. Sie treten das erste Mal zusammen auf, die Harmonie ist wohltuend.
Lebendig und einfühlsam
"Die Gestik und Mimik, mit der Professor Koziel die Gedichte vorträgt, ist faszinierend und die Atmosphäre hier ist immer besonders", meint ein Mann aus Burgkunstadt. Und der Mann hat recht, wenn man sieht, wie Koziel rezitiert. Und zwar mit einer Lebendigkeit und Einfühlsamkeit, die seine Zuhörer in den Bann zieht. Wenn er vorne steht und jeder seiner Gesichtsmuskeln den Gehalt der Worte widerspiegelt, hat das eine Faszination. Und seine Hände sind die Expression der sprachlichen Bilder. Er wiederholt viele Gedichte immer dann, wenn der Zuhörer es braucht - und genau das macht den speziellen Reiz aus, diese stille Übereinkunft und das Erkennen, wann Wiederholung notwendig ist. Koziels einfühlsame Interpretationen der Lyrik sind nicht nur seine Ansichtsweise. Er ahnt wohl die Vermutungen des Zuhörers und spannt einen Bogen zu völlig neuen Erkenntnissen. Diese stille Interaktivität zwischen Rezitator und Publikum ist weder geplant oder gesteuert und genau das ist das Besondere an diesem Abend."Die Menschen haben Sehnsucht und reimen sich vieles zusammen, die schönsten Dinge passieren aber dann, wo sich das Leben nicht immer reimt", lautet die Einleitung von Koziel und hat was Philosophisches. "Manchmal helfen aber nur Worte nicht, auszudrücken, was uns bewegt - das kann aber die Musik".
Der erste Themenblock "Einstellung zum Leben" beinhaltet die Interpretation des Gedichts "Fluidum des Tages" von Thomas Brasch, Regimegegner aus der ehemaligen DDR, und die hat es in sich. "Meine jeweilige Einstellung entscheidet über den Tag." Und sein "Wenn man woanders wär" drückt nur allzu gut die Suche nach dem Lebenssinn aus. Der Schluss gipfelt in der Wiederholung "Wo, wo, wo?", von Koziel so laut gerufen, dass man fast erschrickt. "Wenn man immer so genau wüsste, wo man hin will und hin soll, leider wissen viele von uns oft nur, dass man wo anders sein will, ob das gut ist?", lässt Koziel offen.
Weitere Themen sind Wunsch und Realität, Geschenke des Lebens, Liebe und Leben vor dem Tod. Einprägsam auch das Liebesgedicht von Bergengrün "zu Lehen", worin er ganz wunderbar ausgedrückt hat, dass niemand den anderen besitzen kann. Es ist ein Gedicht voller Wertschätzung und Respekt an den Liebespartner und an die höhere Macht.
Gedichte von Ulla Hahn trägt er oft schelmisch vor, die sind kurz, prägnant, mit viel Esprit und Witz - besonders das "Ehe Paar Weise". Hier hängt die Interpretation von der Betonung der Silben ab. Das Publikum schmunzelt und lacht auch mal lauthals, und Höppner untermalt flott spielerisch und akzentuiert oder auch bewusst schräg, passend zur Zwiespältigkeit manches Dichters.
Ein besinnlicher Abend voller Poesie. Die Zuhörer haben ergriffen gelauscht - jetzt applaudieren sie frenetisch.