Wenn der Schnee taut im Oberland
Autor: Siegfried Sesselmann
Stadtsteinach, Mittwoch, 02. März 2016
Am 2. März vor 60 Jahren schockte eine "Eisplattenüberschwemmung" Stadtsteinach. Nach einem 31-stündigen Katastropheneinsatz war die Gefahr gebannt.
Wie auf einer Perlenkette reihen sich die Berge des Frankenwaldes östlich des Tales von Seibelsdorf bis Untersteinach. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt ein ebenso langer Bergrücken in vollkommen anderer geologischer Formation, den man in Stadtsteinach als Bergfeld oder Espich bezeichnet. Und die ehemalige Kreisstadt Stadtsteinach liegt inmitten dieses Tales.
Doch wehe, wenn die Schneemassen links und rechts im Frühjahr tauen! Schon seit Jahrhunderten musste Stadtsteinach mit gewaltigen Hochwassern leben. So auch vor 60 Jahren am ersten Wochenende im März 2016.
In den Sommermonaten fließen zwischen den Frankenwaldbergen, von der Radspitze bei Seibelsdorf bis zum Spitzberg bei Untersteinach kleine Rinnsale. Die Zaubach, die im Sommer ausgetrocknet brachliegt, wird bei Regen gespeist von der Zettlitz und kleinen Zuflüssen des Bergfeldes.
Zwischen dem Vorderreuther Berg und der Grünbürg fließt von Schwand kommend der Schindelbach, der früher auch Schendleinbach genannt wurde. Die Steinach ernährt sich aus dem Steinachtal kommend von vielen Rinnsalen aus der Grünbürg und dem Grundberg. Zwischen dem Eichberg und Hainberg rinnt die Blössach in die Steinach. Die weiteren Flüsslein vom Mittelberg, der Denkensleite oder dem Spitzberg kommend, der Lisbach von Guttenberg, fließen erst nach Stadtsteinach in die Steinach.
Doch was geschah am Freitag, 2. März, 1956? Die Steinach, der Mühlbach, der oberhalb von Stadtsteinach zum Antrieb der Partheimühle angeleitet wird und nach Stadtsteinach wieder in das angestammte Becken zurückkehrt, und die Zaubach waren aufgrund lang anhaltender eisiger Temperaturen mit Eis bedeckt. Die frostigen Temperaturen hielten lange, und die Eisdecken wurden dicker und dicker.
Zusätzlich waren die Schneedecken auf dem Höhenzug des Frankenwaldes, wie es früher üblich war, stark angewachsen.
Doch plötzlich setzten warmer Regen und Tauwetter ein. Der Schnee schmolz dahin und von den Schneisen, Wegen und Fuhren floss das Wasser talwärts. Die unscheinbaren kleinen Bächlein schwollen schlagartig an, denn der gefrorene Boden konnte kein Wasser aufnehmen.
Dicke Eispanzer
Die gewaltige Wucht der Wassermassen drückte nun, im Tal angekommen, in die mit dicken Eispanzern bedeckten ruhenden Flüsse. Das Eis kam nicht zum Schmelzen, Eisplatten wurden mit voller Wucht herausgerissen, türmten sich zu Berge oder wurden in die Stadt gedrückt, wo sie hängen blieben.Auf Stadtsteinach schien eine Katastrophe hereinzubrechen. Am Samstag um 23 Uhr heulten die Sirenen. Die Feuerwehr mit ihrem Kommandanten Hans Hümmer, alle städtischen Arbeiter, die Landpolizei mit den Polizeihauptobermeistern Johann Hirsch und Alois Krokauer und die gesamte Bevölkerung stand fassungslos vor der unbändigen Naturkraft. Das Wasser floss in Keller, Scheunen. Der Schlosser Hans Limmer aus der Wehrstraße fiel bei den Arbeiten ins Wasser, kämpfte gegen die wuchtigen Eisplatten und entrann in letzter Minute dem Eistod. Die Verantwortlichen reagierten schnell. Unter Leitung der Hauptmänner Peter Schwarz und Franz Steiner vom Bundesgrenzschutz in Stadtsteinach, der bereitwillig mithalf, wurden angehäufte Eisplattenhindernisse gesprengt - an die 80 Mal. Überall standen Anwohner mit langen Stangen, um Eisstaus zu verhindern.
Nach 31 Stunden schwerster Arbeit meldete der Kommandant Hans Hümmer: "Die Bäche sind frei!" Man hatte geschafft, eine Hochwasserkatastrophe von Stadtsteinach abzuwenden. Trotzdem standen viele Keller unter Wasser. Der Spuk, der drei Tage Stadtsteinach in Angst und Schrecken versetzt hatte, war vorbei.
Von Rugendorf bis Untersteinach
In Rugendorf erzählte man "nur" von Überschwemmungen, in Zaubach drang das Hochwasser in viele Bauernhöfe, nach Stadtsteinach über Hummendorf bis Untersteinach berichtete man von einem Hochwasser. Das Oberland hatte, wie amtlicherseits gemeldet wurde, "keine erwähnenswerte Hochwassergefahr".Seit in Stadtsteinach eine Hochwasserfreilegung funktioniert und die Winter sich wahrscheinlich in ihrer Heftigkeit beruhigt haben, wird eine derartige Katastrophe wie vor 60 Jahren das "Nadelöhr" Stadtsteinach nicht mehr heimsuchen.