Druckartikel: Wenn der Gorki im Laden fehlt

Wenn der Gorki im Laden fehlt


Autor: Markus Häggberg

Lichtenfels, Freitag, 16. März 2018

V or einer Woche sorgte der Anruf eines lieben Bekannten aus Weidhausen dafür, dass ich einen Vorwand hatte, ein bisschen gegen das Coburgische an sich zu m...


V or einer Woche sorgte der Anruf eines lieben Bekannten aus Weidhausen dafür, dass ich einen Vorwand hatte, ein bisschen gegen das Coburgische an sich zu maulen. Aber ich maule auch gegen das Lichtenfelserische und einmal, so vor zwei Jahren, bastelte ich an einem nicht ganz ernst gemeinten Werbe-Slogan für Lichtenfels. Er lautete: "Lichtenfels - woanders ist Bamberg weiter weg." Doch wie ich nun feststellen durfte, kommt es auch in dieser wirklich herrlichen Stadt zu befremdlichen Szenen. Gut, wenn man dann einen Tag frei hat und vor Ort ist. Treten wir also ein in einen Bamberger Buchladen und an einen nun knapp 48 Stunden alten Dialog zwischen Verkäuferin und Kundin.
"Sagen Sie, haben Sie russische Literatur, zum Beispiel Gorki?", fragte eine etwas ältlich wirkende Dame eine Verkäuferin. Die Verkäuferin sah sich nach Büchern von Gorki um, fand aber keines. Dafür verwies sie ein paar Meter weiter im Regal auf Anton Tschechow. "Hm, naja, ich mag ja russische Literatur - also Gorki haben Sie nicht?", erhielt sie als Antwort. Doch dann betrachtete die Fragestellerin die beiden ihr gereichten Tschechow-Bände, drehte und wendete sie, las den Klappentext und legte sie wieder ins Regal zurück. "Also ich bin sehr für russische Literatur ... Gorki haben Sie jetzt ja aber leider keinen. Kommt der wieder rein?"
Das wusste die Verkäuferin nicht umgehend zu beantworten, dafür verwies sie auf Alexander Tolstoi, von dem sie noch die "Kreutzersonate" und "Krieg und Frieden" im Haus hatte. "Also ich mag ja russische Literatur sehr, aber Tolstoi?", entgegnete die Kundin. Das Gesicht der Verkäuferin wandelte sich ins Unbeschreibliche. Eine Spur Hilflosigkeit lag in ihm, aber die Frau war ganz Profi und klammerte sich an die Teilbotschaft von der russischen Literatur. Sie schien zu glauben, dass sie ihrer Kundin grundsätzlich auch mit Iwan Turgenjew kommen könne. Konnte sie nicht. Zwar versicherte die Kundin der russischen Literatur erneut ihre Wertschätzung, aber nicht dem Turgenjew. Als sich die Verkäuferin auf den Weg zum Regal mit den Schriftstellern machte, die mit einem D beginnen, kam sie an einem literaturtheoretischen Werk vorbei. Es hieß "Die Wahrheit über russische Literatur", doch wie sich herausstellen sollte, wollte die Kundin die Wahrheit gar nicht hören. "Schade, dass Sie keinen Gorki haben. Gorki ist für mich einfach russische Literatur." So griff die Verkäuferin nun zu D wie Dostojewski, der nachweislich Russe war, auch wenn er, wie Roger Willemsen mal schrieb, in Baden-Baden blutig ins Taschentuch hustete. Aber ach, auch Dostojewski war nicht nach dem Sinn der Kundin. "Immer so ein bisschen moralisch, gell?", befand sie zu Mann und Werk. Nun stellte die Verkäuferin noch einen Strauß aus Bulgakow, Bunin, Pasternak und Puschkin zusammen. Die Frau besah sich die Bücher, wägte ab, ob Paperback oder fester Einband, studierte die Klappentexte und begann allmählich zu nicken. Die Verkäuferin nickte mit. "Ja, ich sehe schon", hob die Kundin verheißungsvoll an, nur um dann ihr Bedauern auszudrücken, dass das Haus keinen Gorki habe. Dabei liebe sie die russische Literatur doch so sehr und Gorki war doch Russe, nicht wahr? Dem war nicht zu widersprechen.
Irgendetwas in dem resignierten und leeren Blick der Verkäuferin sagte mir, dass der Höhepunkt des Gesprächs erreicht und überwunden war, und so wandte ich mich vom Geschehen ab. Allerdings verspürte ich jetzt doch eine gewisse Neugierde an russischer Literatur.