Wenn das Vogelzwitschern die Stille in den Straßen bricht
Autor: Marco Meißner
Kronach, Mittwoch, 18. März 2020
Aufstehen, Hunde anleinen und ab in die Natur. Der tägliche Gassigang darf nicht fehlen. Er ist eine Routine, die ich nicht missen möchte. Einerseits kommt der Kopf zur Ruhe, andererseits bietet der S...
Aufstehen, Hunde anleinen und ab in die Natur. Der tägliche Gassigang darf nicht fehlen. Er ist eine Routine, die ich nicht missen möchte. Einerseits kommt der Kopf zur Ruhe, andererseits bietet der Spaziergang Raum für Begegnungen. Doch jetzt ist der Gang durch die Haustür ins Freie plötzlich etwas ganz anderes als noch vor wenigen Tagen.
Zwar wohne ich in einer recht ruhigen Ecke Kronachs, trotzdem begleiteten ein gedämpftes Motorenbrummen von der B173, ein Hupen aus der Kulmbacher Straße, das Lachen von Schulkindern, das Gespräch unter Nachbarn oder die Geräusche der Heimwerker und Hobbygärtner bei ihren Arbeiten nebenan die meisten der kleinen Ausflüge mit den Vierbeinern.
Das alles ist an diesem Samstag einfach nicht mehr da. Ein ganz alltäglicher Vorgang hinterlässt nun einen sehr surrealen Eindruck. Es herrscht Stille in der Straße. Eine einsame Walkerin kreuzt - in gebührendem Abstand - meinen Weg. Ansonsten sind die Gehsteige wie leer gefegt. Beinahe erinnert diese Szenerie an den Steven-King-Roman "Langoliers", in dem nur noch eine kleine Gruppe eine ansonsten vollkommen menschenleere Welt durchstreift.
Doch in einem Punkt unterscheiden sich Buch und Wirklichkeit erfreulicherweise voneinander. Kings Totenstille fehlt. Wo bisher Gespräche und Fahrzeuge für die Geräuschkulisse gesorgt haben, tritt nun etwas in den Vordergrund, dass sonst kaum so bewusst von mir wahrgenommen wird. Die Vögel sind wieder in großer Zahl da. Und ihr Zwitschern wirkt in der Stille viel kräftiger als noch im Frühjahr zuvor. Es ist beruhigend und macht irgendwie auch Mut.
Die Krise, die durch Corona ausgelöst wurde, ist zweifelsohne schlimm. Doch in diesem kurzen Moment merke ich, dass sie mir auch eine Chance bietet, den inneren Kompass wieder einmal neu auszurichten. Die Sinne zu schärfen. Die Umwelt, die Mitmenschen, aber auch mich selbst wieder einmal anders wahrzunehmen.
Solche Momente sollte jetzt jeder nutzen. Danach kommt schließlich irgendwann die Phase, in der wir den Alltag wieder in Gang bringen müssen und in der wir eine Zeit lang doppelt so stark anpacken müssen wie früher. Und ob dann noch Zeit für solche Augenblicke der Stille da ist ...?