Wann ein Betrüger einer ist - oder: der Kampf um die Ehre vor Gericht
Autor: Markus Häggberg
Lichtenfels, Freitag, 06. Mai 2016
Lügner, Betrüger, Angeber, Dieb - so nannte ein 89-jähriger Pensionär aus dem Raum Bad Staffelstein einen Geschäftsmann, von dem er sich hintergangen fühlte...
Lügner, Betrüger, Angeber, Dieb - so nannte ein 89-jähriger Pensionär aus dem Raum Bad Staffelstein einen Geschäftsmann, von dem er sich hintergangen fühlte.
Das mutmaßliche Unrecht im Sinne der Schimpfwörter geschah am 10. November 2015 und führte ihn am 3. April dieses Jahres schließlich vor Gericht. Der Senior musste sich vor Richter Stefan Hoffmann und Staatsanwalt Christian Pfab im Saal 14 des Amtsgerichts wegen Beleidigung verantworten.
"Jawoll!", antwortete der 89-Jährige in bestimmtem Tonfall auf Pfabs Nachfrage, ob er einen ihm bekannten Unternehmer wirklich als Betrüger und ähnliches tituliert habe. Der Tonfall zeigte an, dass der Beschuldigte sich im Recht fühlte.
An dieser Stelle wurde klar, dass Pfab einige Überzeugungsarbeit aufbringen musste, bis er dem älteren Herren eindrücklich verständlich machen konnte, dass man nach deutschem Recht nur den einen Betrüger nennen darf, der auch einer ist, also wegen Betrugs verurteilt worden ist. Vorher nicht und sonst nicht.
"Na, da bin ich ja jetzt sprachlos", sagte daraufhin der aufgebrachte Mann. Für den echauffierten Senior, der mit dem von ihm beleidigten Mann in einem zivilrechtlichen Verfahren zu einer Pachtangelegenheit steht, standen 600 Euro auf dem Spiel. Auf diese Summe war der Strafbefehl gegen ihn festgesetzt worden. Dazu erklärte der Beschuldigte, dass er selbst von seinem Streitgegner mit "Arschloch" bezeichnet worden sei.
Eine Frage der Ehre?!
Abermals versuchte man, ihm seine juristischen Möglichkeiten darzulegen, selbst eine Klage anzustrengen.
Nur dürfe er sich eben nicht in beleidigender Weise äußern. "Hohes Gericht, ich fühle mich in meiner Ehre derart beleidigt und in den Schmutz getreten", entgegnete der Beschuldigte und äußerte zudem, dass er die Situation gerade als "medienreif" empfinde. "Wenn ich Ihr Einspruchsschreiben durchlese, frage ich mich, ob ich ein weiteres Verfahren wegen Beleidigung gegen Sie anstrengen soll", hielt ihm Pfab entgegen. Denn offensichtlich sparte der Pensionär in diesem Schreiben selbst nicht mit Ausdrücken.
Wieder und wieder versuchten Richter Hoffmann und Staatsanwalt Pfab, dem älteren Herren zu erklären, wann ein Betrüger Betrüger genannt werden dürfe. "Ich habe das Bundesverdienstkreuz bekommen", erzählte der 89-Jährige. Er fragte außerdem nach, wie es um dieses bestellt sei. "Das ist ja nicht Gegenstand dieser Verhandlung", so Pfab bestimmt. Dann wurde Pfab jovial und verfiel kurz in Dialekt: "Ich ko Sie ja versteh'. Es geht bei uns aber nicht zu wie im Wilden Westen, wo jeder jedem was an den Kopf wirft. Sie haben einen Ehrbegriff, den ich auch schätze, aber Sie müssen verstehen, andere haben auch eine Ehre."
Der Angesprochene antwortete darauf: "Ja, Ehre habe ich im Leib, die behalte ich auch." Doch dem Mann stießen die 600 Euro auf, die er zu zahlen habe. Versöhnlich begegnete ihm dabei der Richter, der ihm riet, "die heutige Hauptverhandlung als kostenlose Rechtsberatung" zu sehen und ansonsten ein Einsehen zu haben und die 600 Euro zu bezahlen. Zu seinen Vermögensverhältnissen befragt, äußerte der Pensionär, dass er in seinem bisherigen Leben "ein kleines Milliönchen" gemacht und seinen Kindern bereits wieder vermacht habe. Nun lebe er von einer schmalen Pension. Richter Hoffmann fand heraus, dass sie nicht schmal genug für einen eigentlich angemessenen höheren Strafsatz gewesen wäre.
Mit aufblitzendem Humor kommentierte der Senior: "Ich komm' da nicht mehr mit, verurteilen Sie mich - wann werd' ich eingesperrt?" Doch dazu kam es nicht. Mit der Zahlung der 600 Euro erklärte er sich unter den Worten "In Gottes Namen, hohes Gericht" letztlich einverstanden.