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"Wachs und Gold" im Zeiler Kino


Autor: Redaktion

Zeil am Main, Montag, 02. März 2020

Das "Capitol" zeigte den äthiopischen Film "Enchained" in einer Deutschlandpremiere. Gerne wäre der Regisseur Moges Tafesse dabei gewesen. Doch der Filmemacher erhielt keine Einreiseerlaubnis - sehr zum Ärger der Besucher in Zeil.
Exil-Äthiopier sind zur Vorstellung von "Enchained" ins Capitol-Kino nach Zeil gekommen. Manche von ihnen sind sogar aus Frankfurt angereist.


Dominik Schreiner "Enchained" könnte ein Türöffner für die afrikanische Filmindustrie sein, da ist sich Bruno Schneyer sicher. Am Samstagabend zeigte der Zeiler Kinobesitzer den Film in Originalton mit Untertiteln in seinem Zeiler Capitol-Theater. Der äthiopische Regisseur Moges Tafesse wäre am liebsten selbst dabei gewesen - doch das blieb ihm verwehrt.

Eine echte Deutschlandpremiere haben die Besucher trotzdem zu sehen bekommen: Es war das erste Mal, dass in einem deutschen Kino ein Film auf Amharisch über die Leinwand lief, eine der verbreitetsten Sprachen im nordostafrikanischen Äthiopien. Unter den Zuschauern waren viele Exil-Äthiopier, manche von ihnen sind sogar aus Aschaffenburg oder Frankfurt gekommen. Die Reise nach Zeil wurde für sie zu einer kleinen Reise in die eigene Geschichte: "Wir haben in diesem Film viel gelernt über unser Land und unsere Vorfahren", erzählt Temagne Adameseged nach der Vorstellung.

Die Geschichte von "Enchained" spielt im Äthiopien des frühen 20. Jahrhunderts. Ein junges Liebespaar wird unfreiwillig getrennt und findet sich Jahre später wieder, nachdem sie zwangsverheiratet wurde. Ihre Liebe besteht, doch der Ehebruch fliegt auf. Es folgt ein 15-tägiger Fußmarsch zum königlichen Gericht, den Ehemann und Geliebter aneinandergekettet bestreiten müssen. Dort angekommen, findet ein traditionelles Wortgefecht statt, um den Konflikt beizulegen, gespickt mit poetischen Rätseln und doppelten Bedeutungsebenen.

Metaphern, Gleichnisse und Symbole seien in Äthiopien elementar für Geschichten und Erzählungen, erklärt Regisseur Tafesse im Anschluss an die Filmvorführung über das Telefon: "Die klassische Dichtkunst bedeutet übersetzt ,Wachs und Gold'. Das Wachs steht dabei für die oberflächliche Botschaft, das Gold ist die versteckte, viel wertvollere und wichtigere Bedeutung."

Als das Gold seines Filmes könnte man vielleicht die Erkenntnis sehen, dass Gerechtigkeit und Wahrheit oft tief vergraben liegen. Schuldzuweisungen sind schnell ausgesprochen, doch um die wahren Ursachen und Motivationen hinter Taten zu erkennen und Frieden zu finden, braucht es Zeit, Interesse und Hingabe.

Etwas, das heute oft fehlt. "Ich glaube, die Rechtssysteme können aus der Vergangenheit etwas lernen, nicht nur in Äthoipien", verdeutlicht Tafesse. Bis in das 19. Jahrhundert existierten in Äthiopien keinerlei institutionelle Strafgefängnisse. Der Justiz-Prozess war stark um Ausgleich und Versöhnung un-ter den Kontrahenten bemüht, was sich unter anderem in Bräuchen wie dem Aneinanderketten der beiden Streitenden ausgedrückt hat.

Auch wenn der gezeigte Film Mitgefühl und Verständnis nahelegt: Etwas, wofür Kinochef Schneyer und den Mitinitiatoren des Projekts völlig das Verständnis fehlt, ist die Tatsache, dass dem äthiopischen Regisseur die Einreise nach Deutschland verwehrt wurde. Eigentlich wollte Tafesse bei der Vorführung anwesend sein und seinen Film auch auf der Berlinale zeigen. Doch nachdem ihm zuvor ein Visum für Deutschland zugesichert worden war, hat der international prämierte Filmemacher kurz vor dem Aufbruch überraschenderweise keine Erlaubnis zur Einreise bekommen. Der Grund lässt alle Beteiligten in Zeil grübeln. "The system is not clearing it", zitiert Tafesse selbst die Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Addis Abeba und ist ratlos. Viele Länder habe er schon bereist - bisher immer ohne Probleme.

Angesichts dessen haben Schneyer und Co. einen Brief an die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, geschickt: "Gerade mit Blick auf den jüngsten Äthiopien-Besuch von EU-Komissionschefin Ursula von der Leyen, bei dem sie die Notwendigkeit der Verknüpfung und des wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs betont hat, ist das ein äußerst unglücklicher Sachverhalt", so der Kinobetreiber. Zumal der Film, der bereits zahlreiche Preise gewonnen und Festivals bespielt hat, ein Türöffner für die aufstrebende afrikanische Filmindustrie sein kann. Man hoffe nun auf eine aufklärende Antwort: Mehr als "Der Computer sagt nein" - kein Wachs eben, sondern Gold.