Von Kloster Banz aus geht's ins Tal
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LKR Lichtenfels, Dienstag, 06. Oktober 2020
Beim Gleitschirmfliegen überwindet der Mensch die Schwerkraft ganz ohne Motorenhilfe. Wer ein gutes Gespür für die Thermik hat, kann stundenlang in der Luft bleiben – teilweise Seite an Seite mit Greifvögeln.
Die Fangleinen spannen sich. Das bunte Obersegel steigt über Andreas Starks Kopf. Energisch spannen sich die Gesichtsmuskeln des Gleitschirmpiloten – dann rennt er ein paar Schritte hangabwärts. Ein letzter Schritt gegen den Wind und die Schwerkraft ist überwunden. Im Gurtzeug sitzend, zieht der Pilot an seiner rechten Steuerschlaufe, fliegt eine scharfe Rechtskurve und lässt die Türme von Kloster Banz hinter sich. Der Tritt in den Beschleuniger zieht den Schirm leicht nach vorne – das bringt noch einmal ein paar Stundenkilometer extra.
"Im Normalfall fliegen wir mit 30 bis 40 km/h", sagt Jens Klee. Für den Schriftführer des Oberfränkischen Hängegleitervereins Coburg (OHC) ist sein Sport der beste Weg, um abzuschalten: "Du musst alles ausblenden und dich auf die Natur konzentrieren – sozusagen eins mit ihr werden. Wenn du an andere Dinge denkst, bist du ganz schnell wieder am Boden." Um das zu vermeiden, nutzen er und seine Vereinskameraden die Thermik, also warme Aufwinde. Die entstehen, wenn die Sonne den Boden aufheizt und dieser dann warme Luftpolster abgibt. Hierzu reicht meist schon ein kleiner Impuls, etwa ein vorbeifahrender Zug.
Steigt die erwärmte Luft, kreisen die Piloten im Aufwind, um eine ausreichende Höhe zu erreichen. Wenn die durchs Fluginstrument angezeigt wird, geht es im Streckenflug nach vorne. "Von oben sieht alles ganz anders aus", sagt Klee und lächelt. Die Piloten nehmen aber nicht nur die Vogelperspektive ein, sondern werden von den Tieren als Ihresgleichen angesehen – vor allem weil keine Motorengeräusche zu hören sind.
Eine neugierige Bussardfamilie
Martin Bayer vom OHC hat das schon oft erlebt. Er berichtet beispielsweise von einer Bussardfamilie, die ihn während eines Fluges umkreiste. "Ganz so als wollten die Eltern sagen: ,Kinder, guckt euch den mal an.‘ Das war schon beeindruckend", sagt er mit leuchtenden Augen.
Aber auch das Gruppenerlebnis macht für den erfahrenen Gleitschirmpiloten die Faszination seiner Sportart aus. So sei es beim gemeinsamen Fliegen wesentlich einfacher, die Thermik zu finden. "Beim Fahrradfahren bist du auch allein, aber hilfst dem anderen, zum Beispiel durch den Windschatten", zieht er einen Vergleich. Letztlich ist aber jeder Gleitschirmflieger für sich selbst verantwortlich. So ist die Fähigkeit, selbstständige Entscheidungen zu treffen und dafür die Konsequenzen zu tragen für Bayer entscheidend. "Das formt den Charakter."
Wo Bayer, Klee und ihre Vereinskollegen fliegen, hängt stets von der vorherrschenden Windrichtung ab. Da ihr Fluggerät nur im Gegenwind starten kann, neigen sich die Startplätze stets in unterschiedliche Himmelsrichtungen: Bei der Triniushütte über Rauenstein westlich von Sonneberg geht es in südliche Richtungen; in der Nähe von Kloster Banz erfolgt der Anlauf gen Süd-Westen. Eine weiterer Startpunkt im Kreis Lichtenfels ist der Veitsberg bei Ebensfeld.
Voraussetzungen für den Flug
Für alle Startgelände muss der deutsche Gleitschirm- und Drachenflugverband eine Geländezulassung erteilen. Hierbei sind Bestimmungen seitens des jeweiligen Landwirtschafts-, Umwelt- oder Forstamtes zu beachten. Hinzu kommen andere Voraussetzungen, bevor eine Person per Gleitschirm aufsteigen kann. Wichtig sind zum Beispiel die körperliche Fitness und Beweglichkeit – vor allem beim Start. Der erfolgt immer aus dem Lauf heraus bergabwärts. "Wenn du nicht so erfahren bist, fliegst du oft nur kurz und dann musst du den Berg wieder hoch laufen. Machst du das vier oder fünf Mal, ist das schon anstrengend. Das Ziel sollte natürlich sein, nur einmal hoch zu laufen", sagt Klee und lacht.
Ebenfalls notwendig ist eine Ausbildung. Die besteht aus Theorie und Praxis und kostet etwa 1000 bis 1200 Euro, wie Danny Oberender erklärt. Der Gelände- und Sicherheitsbeauftragte des Vereins verweist in dem Zusammenhang auf die zusätzlich anfallenden Übernachtungskosten: Einige der Flugstunden müssen die Schüler auch im Hochgebirge absolvieren.
Fast genauso wichtig wie die Ausbildung sei das passende Fluggerät, betont Oberender. Das müsse den individuellen Anforderungen des Einzelnen entsprechen. So ist die Größe des Gleitschirms gewichtsabhängig, das Gurtzeug muss Körpergröße und -umfang des Piloten entsprechen. "Das sollte passen, wie die Kleidung aus dem Schrank", sagt der Sicherheitsbeauftragte.
Auch die Ausrüstung muss in Ordnung sein. Besonders die UV-Strahlung greift das Material mit der Zeit an. Also werden Gleitschirm aber auch Gurtzeug alle zwei Jahre auf Risse, Löcher und andere Mängel überprüft.
Fallschirm für den Notfall
Generell wird die Sicherheit der Piloten groß geschrieben. So ist jeder mit einem zusätzlichen Fallschirm ausgerüstet, den er im Notfall werfen kann. Zu Übungszwecken können Extremsituationen auch über dem Wasser geprobt werden. Auch der Einsatz des Notfallschirms kann dann auf dem Programm stehen.
Entscheidend ist aber die Erfahrung des Piloten. Besonders die Erkenntnis, dass man in 1000 Meter Höhe sicherer ist als zehn Meter über dem Boden, sei erst einmal schwierig zu begreifen, sagt Martin Bayer. "Je höher der Schirm, desto mehr Reaktionszeit bleibt. Das Gefühl ist nicht natürlich, das musst du erlernen", fügt er hinzu.
Mit der Zeit steige dann die Gelassenheit beim Fliegen. Die ist notwendig: Dadurch, dass ein Gleitschirm keine starren Bauteile hat, kann er bei schwierigen Windverhältnissen einklappen. Für den Außenstehenden sehe das oft gefährlicher aus, als es für einen erfahrenen Piloten in Wirklichkeit ist, betont Martin Bayer.
Abhängig vom Können gibt es verschiedene Gleitschirmmodelle. Die erinnern nur noch entfernt an Fallschirme, obwohl der Ursprung des Gleitschirmfliegens genau dort liegt: In Frankreich wollten Fallschirmspringer beim Üben von Ziellandungen die hohen Ausgaben für das Flugzeug sparen und starteten von einem steilen Berg, erklärt Bayer.
Seither hat sich viel getan. Durch Computer und Simulationstechnik habe sich die Leistungsfähigkeit der Gleitschirme extrem gesteigert, berichtet Bayer. Bei Pulkwettbewerben würden während des Abfliegens festgelegter Punkte mehr als 100 Kilometer zurückgelegt, berichtet Vereinskollege Jens Klee. Wind und Thermik müssen allerdings mitspielen.
Sollte das in der eigenen Region mal nicht der Fall sein, haben die Gleitschirmflieger gegenüber anderen Piloten einen großen Vorteil: Ihr Fluggerät passt in einen Rucksack und wiegt zwischen zehn und 20 Kilogramm – es kann also auch als Reisegepäck zum nächsten Startpunkt in weiter Ferne gelangen, schwärmt Danny Oberender.