Druckartikel: Vom Koch zum Betreuer

Vom Koch zum Betreuer


Autor: Klaus Klaschka

Presseck, Sonntag, 09. Januar 2022

Pflege  Tomas Puspacher kam aus der Slowakei nach Presseck und kümmert sich jetzt in einem extremen Schichtdienst um Hilfsbedürftige in Frankfurt.
Zweimal im Monat macht sich der Neu-Pressecker Tomas Puspacher mit dem Bus auf die gut vierstündige Reise nach Frankfurt, um dort Schwerstbehinderte zu pflegen.


Zwei Wochen hier, zwei Wochen dort. So sieht der Dienstplan eines Schwerstbehindertenbetreuers aus, Sonn- und Feiertage eingeschlossen. Dass Tomas Puspacher heuer zu Weihnachten zu Hause in Presseck feiern konnte, war nur Zufall. In den zurückliegenden Jahren hatte er über die Feiertage immer Dienst. Dafür musste er diesmal über den Jahreswechsel und an Dreikönig ran.

"Wer Pflege und Unterstützung braucht, der braucht diese unabhängig von Datum und Festtagen", sagt der 37-Jährige. Am Morgen des zweiten Weihnachtstags hat er sich deshalb in Bayreuth in den Fernbus Richtung Frankfurt gesetzt, um sich für die nächsten zwei Wochen um seine Patientin kümmert.

Jetzt hat er 14 Tage frei und entspannt, dann kommen die nächsten zwei Wochen Dienst. Dass er nicht in Frankfurt wohnt, hat wirtschaftliche Gründe. "Vom Einkommen eines Betreuers kann man sich dort absolut keine Wohnung leisten. In Presseck habe ich enge Freunde, in deren Haus ich bleiben kann." Die vier Stunden Pendeln zweimal im Monat? "Geht's schon", sagt er, ein Franke würde wohl "Bassd scho" sagen.

Überhaupt sind Entfernungen und Ortswechsel für Puspacher schon Gewohnheit. Über einen Pflegedienst betreut er Hilfsbedürftige in deren Wohnungen in Frankfurt. Da hat sich schon eine Art freundschaftliches Verhältnis entwickelt. "Norbert ist vor einem Jahr gestorben," hängt er seinem vormaligen Patienten noch nach. "Nach einem Schlaganfall war er vollständig auf Assistenz angewiesen. Das begann bereits früh mit dem Aufstehen, wenn Norbert mit einer Art Flaschenzug aus dem Bett gehoben und ins Bad geschoben werden musste. Norbert konnte nichts selbst machen." Je nach Tagesform habe man geredet, Sport im Fernsehen geschaut und die eine und andere Fingerübung gemacht. "Ab und zu fuhren wir sogar raus ins Freie."

Tomas Puspacher war rund um die Uhr für seinen Pflegebedürftigen da, schlief auf der Couch im Wohnzimmer, stand nachts einmal auf, um Norbert umzulagern. "Die 24-Stunden-Pflege von einer einzigen Person war gut so", stellt er fest. "Das ist so nun aber nicht mehr erlaubt: Nach zwölf Stunden muss man abgelöst werden."

"Weiß nicht, was da besser sein soll"

Mit der neuen Regelung brauche der Pflegedienst jetzt aber zweimal so viel Personal. Der Betreute müsse sich außerdem an zwei Leute gewöhnen, die um ihn herumschwirren. "Ich weiß nicht, was da besser sein soll."

"Jetzt habe ich nur noch Mildred, Norberts Witwe", berichtet Puspacher von seinem augenblicklichen Job. "Sie hatte wohl einige glückliche Jahre, bis er den Schlaganfall hatte." Jetzt sei sie zunehmend dement, man müsse sie zu allem animieren. "Das wird ganz schlimm, wenn sie sich weigert."

Tomas Puspacher ist Slowake aus Poprad an der Hohen Tatra. Zunächst hat er dem Vater folgend Koch gelernt und arbeitete nach seinem Einserabschluss mit Zeitvertrag in der Küche eines Restaurants auf der Fraueninsel. Seither sei er zahlendes Mitglied im deutschen Sozialsystem, betont er ausdrücklich. Anschließend ging er in die Systemgastronomie in Prag, in ein Hotel in Südirland und zurück in die Slowakei. Über Internetbekanntschaften kam er nach Deutschland zurück. "Deutsch fällt mir leicht, vielleicht ist das auch genetisch", grübelt er mit Blick auf seinen Familiennamen.

Die Station in Deutschland im Raum Essen und Nürnberg waren eher ernüchternd. Schlechte Bezahlung, Sechs-Tage-Woche, "und sogar das eigene Kochmesser musste man mitbringen", erinnert er sich nur noch ungern. Das war vor zehn Jahren.

Offene Arme Fehlanzeige

So zog er damals mit seinen Nürnberger Freunden nach Presseck um. "Zu dieser Zeit gab es schon breite Diskussionen über den Personalmangel in der Pflege. Das aktivierte mein Gen mütterlicherseits", erzählt er von seinem Berufswechsel. Seine Mutter sei gelernte Krankenschwester und habe in Österreich ein Frau gepflegt - zwei Wochen rund um die Uhr, danach zwei Wochen frei. "Genau das konnte ich mir auch vorstellen. Ich dachte, dass ich für eine Umschulung mit offenen Armen empfangen werde. War aber nicht so," grollt er heute noch. Das Jobcenter in Hof habe ihm jegliche Unterstützung verweigert. Ein volles Jahr habe es gedauert, bis das Sozialgericht in Bayreuth per Urteil "dem Jobcenter beigebracht hat, dass es mit seiner Ansicht total falsch lag".

"Nach einem vergeudeten Jahr habe ich dann die viermonatige Intensivschulung zum Pflegediensthelfer gemacht. Das war besser, als noch einmal ein Jahr für eine Komplettausbildung zu verschwenden." An die anschließende Arbeitssuche im Raum Hof erinnert er sich ebenfalls ungern. "Mir wurden 450-Euro- oder nur Teilzeit-Jobs angeboten, von denen man tatsächlich nicht existieren kann. Über eine Vermittlungsagentur bin ich mit meinem jetzigen Arbeitgeber in Frankfurt in Kontakt gekommen. Für ihn arbeite ich jetzt seit sieben Jahren," ist Tomas Puspacher mit seiner Situation durchaus zufrieden. Zurzeit überlegt er, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Auch ein Umzug nach Österreich sei nicht ausgeschlossen - "da fällt die Rente um einiges höher aus als in Deutschland".