Druckartikel: Viele Zeugen, viele Sichtweisen

Viele Zeugen, viele Sichtweisen


Autor: Michael Busch

Erlangen, Montag, 18. März 2019

Mehr als ein halbes Dutzend Zeugen sollen am Erlanger Amtsgericht helfen, eine Tat aufzuklären. Da jeder Zeuge seine Sichtweise hat, nicht einfach. Zumal ein Teil der Zeugen alkoholisiert war und der Vorfall bereits zwei Jahre zurückliegt.
An rund 350 Tagen im Jahr ist die gemeinsame Wache der Polizei und des Roten Kreuzes verwaist. Lediglich am Berg beherbergt dieses Gebäude die Einsatz- und Rettungskräfte.  Foto: Michael Busch


MIchael Busch Die Bedingungen für eine Verhandlung vor dem Erlanger Amtsgericht sind eher suboptimal. Ein erster Termin, bereits mit geladenen und vernommenen Zeugen, ist nichtig, weil bei den Folgeterminen Fristen nicht eingehalten werden konnten. Das führte zu einem "Neustart", so dass alles bereits Geschehene wiederholt werden musste.

Des Weiteren geht es bei dem Termin um eine schwere Körperverletzung, die fast zwei Jahre zurückliegt. Dazu kommt, dass ein Großteil der damaligen Zeugen nicht mehr nüchtern war, immerhin handelte es sich um den Abend des Pfingstsonntags auf der Erlanger Bergkirchweih.

Mal ganz nüchtern betrachtet liegt zunächst die Anklage vor. Darin werden zwei Security-Kräfte, die in einem Lokal auf dem "Berg" arbeiteten, beschuldigt, dass sie einen Mann verprügelt haben sollen. Die damalige Anzeige stellte allerdings nicht der Betroffene, sondern Zeugen, die dem Mann helfen wollten.

Im Ursprung geht es um eine Bank

Für den Richter Hagen Förster galt es nun, herauszufinden, was an diesem Abend tatsächlich passiert ist, denn beide Angeklagten gaben an, dass sie tatsächlich mit dem Mann zu tun gehabt hätten. Denn der hätte eine Bank durch wildes darauf Herumhüpfen zerstört. Wegen dieser Sachbeschädigung hätten die Sicherheitskräfte seine Personalien haben wollen. Vor Gericht gab der Geschädigte an, der an dem Abend 1,5 Promille intus hatte, dass dies eben nicht gestimmt habe. Auch, dass er mehrfach geschlagen worden ist, und gegen seinen Willen zurück in das Gebäude gezogen wurde, bestritten die beiden Angeklagten. "Die wollten mir anhängen, dass ich den Tisch kaputtgemacht habe." Selber habe er "gar nicht so viel von dem Geschehen mitbekommen."

Aufklärung sollten fünf Zeugen liefern, die an diesem Abend am Berg waren. Doch das war gar nicht so einfach. Bereits der erste Zeuge erklärte, dass er vor Ort gar nicht dabei war, auch wenn er mit der Gruppe, die das Geschehen beobachtet haben will, grundsätzlich unterwegs gewesen sei. "Ich war aber schon weiter unten am Berg", was daran gelegen haben könnte, dass er nicht zu denen gehört habe, die am Ende des Berges noch mal auf die Toilette gehen mussten.

Das hatte nämlich der zweite Zeuge geschildert. Der zunächst geglaubt hatte, dass der erste Zeuge mit von der Partie gewesen sei. Der schildert, dass er gesehen habe, dass der Geschädigte von den Sicherheitskräften hinter eine Glastür gezogen wurde, die der Übergang zur Toilette ist. Dort sei der Mann verprügelt worden. Eine weitere Zeugin schilderte allerdings, dass der Rest der Gruppe erst aufmerksam geworden sein, weil sie diese auf das Geschehen hingewiesen habe. Bei den Zeugen gingen die Beobachtungen dann aber deutlich auseinander. An einen riesigen Türsteher, der die Tür blockierte, konnten sich alle erinnern, stand bei dem einen Zeugen vor der Tür, bei einer anderen Aussage innerhalb der Toilettenanlage. Der eine oder andere sah Schläge bereits vor dem Zurückziehen, andere erst hinter der Glastür, weitere gar nicht.

Das Phänomen der Zeugenwahrnehmung ist vor Gericht allerdings bekannt. In verschiedenen psychologischen Abhandlungen wird das beschrieben. Ein gewichtiger Aspekt ist zum Beispiel, dass die Erinnerung an das Ereignis von der betreffenden Person und dem Ereignis an sich abhängt. So schilderte die eine Zeugin, die keinerlei Alkohol getrunken hatte, sehr detailreich. Sie gab aber auch zu, dass "ich mich massiv geärgert habe über das Verhalten der Security-Kräfte".

Kritik an der Polizei

Ihr Chef und weiterer Zeuge hatte sich vor Ort konzentriert, die Polizei zu benachrichtigen und Fotos zu machen, daher habe er von der eigentlichen Schlägerei nicht viel mitbekommen. Gemeinsam kritisierten die Zeugen, die vor dem Lokal standen die Reaktion der Polizei. "Die haben uns nicht ernst genommen", sagte der eine Zeuge, "denen war das wohl zu viel Arbeit am Ende des Berges", referierte ein anderer.

Nochmals zu den Bedingungen der Verhandlung: Ein Verteidiger, der trotz Ermahnung des Richters bereits gestellte Fragen immer wiederholte, stresste die Zeugen enorm. Einem platzte der Kragen und er fuhr den Rechtsanwalt an: "Ich beantworte Ihre Fragen nicht zehnmal, hören Sie halt zu!"

Ein wenig Wind aus den Segeln nahm der Verprügelte selber. "Nein, ich habe nicht geblutet. Ich hatte mehrere blaue Flecken", klärte er auf. Auch dass er mehrfach geschlagen worden sei, war für ihn aufgrund der einwöchig folgenden Schmerzen nicht fraglich. Die beiden Angeklagten identifizierte er im Gerichtssaal, wobei er zuordnen konnte, wer von den Beiden der rabiatere gewesen sei.

Noch ist nicht alles geklärt, an zwei weiteren Terminen werden weitere Zeugen vernommen. Es ist zu klären, ob der eine Angeklagte tatsächlich nur geholfen hatte den "Flüchtenden" wieder einzufangen, oder ob er aktiv mitgeprügelt hat, was er selber bestreitet. Es bleibt zu klären, ob das Zerbrechen einer Bank zu solch einem rabiaten Einschreiten der Security-Mitarbeiter gerechtfertigt ist. Unverständnis wurde schon im Gericht geäußert, warum sie den jungen Mann gefesselt hätten, da die Personalien zu diesem Zeitpunkt bereits festgestellt worden waren.

Fortsetzung folgt

Das zu klären ist nicht einfach, geht es ja letztlich auch um einiges. Eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu zehn Jahren droht - und selbst im minderschweren Fall kann ein Gericht auf bis zu fünf Jahren Haft entscheiden. Dafür muss aber alles klar sein.