Viel los an einem einzigen Tag
Autor: Daniela Pondelicek
Coburg, Mittwoch, 28. Juli 2021
Justizgebäude Zuerst bekamen alle bei einem Feueralarm einen Schrecken - es war eine Übung. Dann bekam ein Angeklagter noch einmal eine Chance.
Wenn eine Sirene ertönt und eine Lautsprecheransage dazu auffordert, das Gebäude umgehend zu verlassen, dann ist das im ersten Moment immer eine beunruhigende Situation. Schallt der Alarm aber durch die Gänge eines Justizgebäudes, ist das auf eine besondere Art und Weise beängstigend - immerhin gehen hier jeden Tag Straftäter ein und aus. Und auch ohne blühende Fantasie liegt da der Verdacht nahe, dass tatsächlich eine ernstzunehmende Bedrohungslage herrschen könnte.
Dementsprechend herrschte am Mittwochmorgen eine angespannte Stimmung, als im Coburger Justizgebäude die Sirene schrille und die Räumung des Gebäudes angeordnet wurde. Der Schreckmoment dauerte allerdings nur wenige Momente an, denn vor dem Gebäude gibt es schon nach kurzer Zeit Entwarnung: Der Alarm war nur eine routinemäßige Brandschutzübung.
"Wir proben jedes Jahr ein Mal den Ernstfall, von dem wir hoffen, dass er nie eintreten wird", erklärt Staatsanwalt Otto Heyder. Er ist einer der drei Leiter des Krisenstabs am Landgericht Coburg und hat die Übung deshalb genau überwacht. Für ihn sei es wichtig, sich einmal im Jahr mit dem Sicherheitskonzept vertraut zu machen: "Nur dann sind wir für den Notfall gewappnet." Dabei werde nicht nur geprüft, ob Fluchtwege und Feuerlöscher genutzt werden können. "Wir haben auch einen speziellen Rollstuhl, mit dem im Ernstfall eine Person aus dem Gebäude gebracht werden kann, die nicht mobil ist. Auch der sollte bei einem Feuer schnell verfügbar sein", erklärt er.
Neben dem Brandschutz gebe es noch einen zweiten Alarm, mit dem sich das Landgericht schütze: "Der ertönt bei einer Amoklage - aber das können wir nur schwer proben."
Mit dem Verlauf der Übung war Otto Heyder wirklich zufrieden. "Es gab keine Vorkommnisse, stattdessen haben alle das Gebäude zügig und nahezu gleichzeitig verlassen", sagte er.
Deshalb konnte die Brandschutzübung auch rasch wieder beendet werden - und die Justiz durfte schon nach kurzer Zeit wieder zur Tagesordnung übergehen. So stand am Mittwoch auf der Tagesordnung ein Strafprozess in Sachen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung:
Staatsanwalt Christopher Rosenbusch fällt es sichtlich schwer, den Aussagen von Silvana W. zu folgen. Nicht, weil die Zeugin vor dem Landgericht Coburg wirre oder unverständliche Angaben macht, sondern weil W.s Ausführungen für ihn absurd klingen: Silvana W. betont vehement, dass sie sich fast gar nicht mehr an die körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten Markus V. und seinem Opfer Matthias S. erinnern könne - und das, obwohl sie noch kurz nach dem Vorfall angegeben hatte, dabei selbst einige Schläge vom Angeklagten kassiert zu haben. Auch an die will sich die Zeugin mittlerweile partout nicht mehr erinnern können. Für den Staatsanwalt unbegreiflich. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie eine derartige Gewalteinwirkung einfach so vergessen haben", sagt er und fixiert die Zeugin mit einem eindringlichen Blick, "hat es denn nun Schläge gegeben oder nicht?" Ganz leise antwortet Silvana W. erneut, sie wisse es nicht mehr. Wenig später fügt sie hinzu: "Wissen Sie, der Markus ist eigentlich ein guter Mensch - es ist nur der Alkohol, der schlecht ist."
Für Richterin Jana Huber gibt es nur eine Erklärung für das Verhalten der Zeugin. Sie wolle Markus V. vor einer Verurteilung schützen und habe deshalb wohlwollend ausgesagt. Genutzt hat es nichts: Auch ohne W.s Angaben lagen dem Gericht genug Beweise vor, um den 29-jährigen Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung und der Sachbeschädigung schuldig zu sprechen. Er wird zu einer Haftstrafe in Höhe von drei Jahren verurteilt und muss sich zudem einer Suchttherapie unterziehen.
Durch die Zeugenaussagen und die Berichte des medizinischen Sachverständigen hat sich bestätigt, was Markus V. in der Anklageschrift vorgeworfen wurde. Er soll am 16. Dezember 2020 auf einem Spielplatz nahe dem Kronacher Flügelbahnhof mit dem Geschädigten Matthias S. zunächst in einen verbalen Streit geraten sein, der schließlich in einer körperlichen Auseinandersetzung mündete. Dabei soll V. seinem Opfer einen Fausthieb ins Gesicht versetzt haben, woraufhin dieser zu Boden ging. Anschließend soll der Angeklagte Matthias S. weiter mit Schlägen und Tritten traktiert haben. Eine Zeugin habe dabei gehört, wie der Angeklagte gebrüllt habe: "Du blutest mir noch nicht genug!" Silvana W. habe daraufhin versucht, den Angeklagten von Matthias S. zu trennen und sei dabei selbst geschlagen worden. Auch das sah das Gericht als erwiesen an, obwohl sich Silvana W. in Schweigen hüllte. Erst als eine weitere Zeugin die Polizei verständigte, habe V. von seinem Opfer abgelassen. Vier Tage zuvor soll er gemeinsam mit Silvana W. eine Behindertentoilette in Kronach verwüstet und beschädigt haben. Auch dafür muss er sich am Mittwoch vor dem Landgericht verantworten.
Am Ende der Verhandlung bezeichnet Staatsanwalt Christopher Rosenbusch den Angeklagten zwar nicht als guten Menschen, wie es Silvana W. getan hat, aber er erkennt: "Er ist ein bedauerliches Stück menschliches Treibgut." Das mache er an den Aussagen des Angeklagten fest: Seine Mutter sei von jeher alkoholabhängig gewesen, er habe seine Kindheit in mehreren Kinder- und Jugendheimen verbracht. Mit 14 habe er das erste Mal mit Drogen Kontakt gehabt, bis zu seiner Inhaftierung habe er regelmäßig Crystal konsumiert und Alkohol getrunken. Durch die Sucht sei er schließlich obdachlos geworden und in Kronach gestrandet. Die "wahrhaft schwierigsten Verhältnisse", in denen der Angeklagte aufgewachsen sei, waren schließlich auch der Grund, weshalb Richterin Jana Huber neben der Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren eine Therapie anordnet. "Es ist aber wirklich Ihre letzte Chance, um den Absprung zu schaffen", betont sie.