Druckartikel: Verdächtigungen und Gerüchte brachten einen 49-Jährigen vor das Amtsgericht

Verdächtigungen und Gerüchte brachten einen 49-Jährigen vor das Amtsgericht


Autor: Manfred Wagner

Haßfurt, Samstag, 18. März 2017

In einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren wurden in einer Kleinstadt im Maintal immer wieder Autos verkratzt, mit Farbe übergossen und die Reifen plattgest...


In einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren wurden in einer Kleinstadt im Maintal immer wieder Autos verkratzt, mit Farbe übergossen und die Reifen plattgestochen. Unter Verdacht ist ein selbstständiger Kaufmann (49) geraten. Wie sich beim Prozess vor dem Haßfurter Amtsgericht herausstellte, beruhte dieser Verdacht nur auf Gerüchten. Deshalb wurde der Mann nach zweistündiger Verhandlung sowohl auf Antrag der Staatsanwaltschaft als auch der Verteidigung freigesprochen.
Die Sachbeschädigungen an den Fahrzeugen wurden im Zeitraum zwischen Juli 2013 und August 2015 verübt. Laut Anklageschrift schlug der Täter insgesamt neun Mal zu. Betroffen von den Anschlägen waren ein VW Tuareg, ein VW Polo, ein Ford Seat, ein Ford Focus, ein Audi A6 und ein Renault Twingo. Der angerichtete Schaden ging in die Tausende.


Zur Tatzeit im Ausland

"Ich habe damit rein gar nichts zu tun", erklärte der Angeklagte. Sein Verteidiger Tilman Fischer ergänzte, dass sein Mandant an zwei der Vorfälle nachweislich im Ausland in Urlaub gewesen sei. Im Zuge der Beweisaufnahme wurden dann insgesamt sieben Zeugen vernommen, die Mehrzahl von ihnen waren die Eigentümer der Autos, die so übel zugerichtet worden waren.
Bei den Vernehmungen wurde deutlich, dass der Beschuldigte nicht nur Freunde in der Kleinstadt hat. Vielmehr gibt es - wie in jedem kleinen Ort - jede Menge Gerüchte und Verdächtigungen. Etliche der Geschädigten stehen oder standen in einer Geschäftsbeziehung zu dem 49-Jährigen. Doch die Suche nach stichhaltigen Beweisen war eine einzige Fehlanzeige.
Ein Augenzeuge, der frühmorgens zwischen fünf und sechs Uhr Schritte vor seinem Fenster gehört und dann den Täter flüchtig beobachtet hatte, beschrieb ihn als schlanken Mann mit schulterlangen Haaren, Boxershorts und weißem T-Shirt, etwa 1,70 bis 1,80 Meter groß. Diese Täterbeschreibung passte überhaupt nicht zu dem Angeklagten, der nur kurze Haare trägt, über 1,90 Meter groß ist und seit Jahrzehnten von keinem Menschen in kurzen Hosen gesehen wurde. Mit Blick auf die Anklagebank stellte der Zeuge denn auch klipp und klar fest: "So sah er nicht aus!".
Schließlich wurde im Gerichtssaal ein Video aus einer Kamera abgespielt, das einer der Geschädigten installiert hatte und auf dem der Reifenstecher in flagranti zu sehen war. Allerdings hatte der Übeltäter eine Papiertüte über den Kopf gezogen, wodurch sein Gesicht verborgen blieb. Dass der Kaufmann unter Verdacht geriet, gründete sich auf vagen Mutmaßungen, die einer der Zeugen so formulierte: "Von der Statur her könnte er es gewesen sein."


Mehrfach angegangen

Auffällig an der Anschlagserie ist, dass einige der Autos nicht nur einmal, sondern zwei- oder gar dreimal attackiert wurden. Und dass der Täter auch nicht davor zurückschreckte, auf Privatgrund abgestellte Fahrzeuge anzugehen, ist zumindest ein Indiz dafür, dass es sich um gezielte persönliche Racheakte handelte. Doch der Tatverdacht gegen den Angeschuldigten, der um seine Reputation in dem Ort fürchtet, lief ins Leere.
Amtsrichterin Ilona Conver erwog, die Videoaufnahme gutachterlich untersuchen zu lassen. Ein Sachverständiger hätte die biometrischen Verhältnisse mit dem Körper des Angeklagten vergleichen und daraus vielleicht Schlüsse ziehen können. Obwohl sich dieser sofort damit einverstanden zeigte, hielt die Vorsitzende diese Maßnahme nicht für erforderlich und sprach den Angeklagten frei.