Druckartikel: Verbotene Liebe nach dem Krieg

Verbotene Liebe nach dem Krieg


Autor: Manfred Franze

Ebermannstadt, Montag, 30. Mai 2016

Frauen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg mit Kriegsgefangenen einließen, traf auch im Landkreis Forchheim der Bannstrahl gesellschaftlicher Verachtung. Dies nötigte die jungen Frauen zu teilweise grauenhaften Taten.
Das Zeughaus in Forchheim wurde 1968 für den Bau einer Schulturnhalle abgebrochen. Nach Abzug der Kriegsgefangenen diente es als Notunterkunft  Foto: Archiv Harald Schmidt


1917 häuften sich die Meldungen über junge Frauen, die wegen unerlaubten Verkehrs mit Kriegsgefangenen angezeigt wurden. Danach wurde 1917 in Stechendorf eine Bauerstochter vom Schöffengericht zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie intime Beziehungen zu einem russischen Kriegsgefangenen und längere Zeit ein Liebesverhältnis mit einem französischen Kriegsgefangenen hatte.
Alles Bitten und Prügeln ihres Vaters half nichts. Die Nennung der jungen Frauen mit vollem Namen in der Zeitung erhöhte im engen dörflichen Milieu den sozialen Druck auf deren Familien.


Schlechter Geisteszustand

In Wannberg bei Pottenstein tuschelten 1918 die Nachbarn über die Beziehungen zweier junger Frauen zu einem rumänischen Kriegsgefangenen, den ihre Mutter zur Aushilfe auf ihren Bauernhof erhalten hatte, weil sie bereits ihre zwei Söhne im Krieg verloren hatte.
Über diese Beschuldigung - so hieß es im Wiesent-Boten - regte sich die gebrochene Mutter derart auf, dass ihr Geisteszustand Schaden litt und sie in die "Kreisirrenanstalt" eingeliefert werden musste.
Zwei junge Frauen - eine Dienstmagd in der Nähe von Creußen und eine Bauerntochter in Krögelstein - waren wegen ihrer verbotenen Liebesverhältnisse so verzweifelt, dass sie ihre heimlich entbundenen Babys töteten. Das Erzbischöfliche Ordinariat Bamberg nahm die sich häufenden Meldungen über sexuelle Beziehungen zu ausländischen Kriegsgefangenen zum Anlass, 1917 in seinem Amtsblatt einen Appell an die Geistlichkeit in Bezug auf die Kriegsgefangenen zu richten: "Wiederholt haben wir unserer Seelsorgegeistlichkeit Wachsamkeit empfohlen, damit den sittlichen Gefahren, die für die weibliche Jugend durch eine gewisse Vertraulichkeit im Verkehr mit den Kriegsgefangenen sich ergeben, vorgebeugt werde." Die Ermahnungen zu mehr Wachsamkeit gegenüber den Kriegsgefangenen steigerten sich im Frühjahr 1917 zu einer regelrechten Sabotage-Hysterie. Sie wurde gezielt vom Kriegspresseamt geschürt. In Nordfrankreich baute nämlich zu diesem Zeitpunkt die Oberste Heeresleitung hinter der Front von der Nordsee bis Verdun eine neue Verteidigungslinie auf ("Siegfried-Stellung").
Dazu wurden 125 000 Menschen zwangsevakuiert und das aufgegebene Gebiet völlig zerstört. Wegen dieses Vorgehens wurde Deutschland vom Ausland heftig kritisiert. Dem wiederum setzte das Kriegspresseamt den Vorwurf entgegen, die französischen Kriegsgefangenen würden in Deutschland Sabotageakte verüben. In einer völlig überzogenen Propagandaaktion wurde die deutsche Zivilbevölkerung vor zu großer Vertrauensseligkeit gewarnt.
Dementsprechend belastet war Mitte 1917 auch das Verhältnis der Einheimischen in unserer Region zu den französischen Kriegsgefangenen. Im Mai 1917 mussten die über 100 im Landkreis inhaftierten Franzosen auf dem Marktplatz in Ebermannstadt zu einem Gefangenenappell antreten.


Warnung vor Sabotageakte

Zunehmend wurden die Kriegsgefangenen als Feinde betrachtet. Als im Mai 1917 in Huppendorf bei Hollfeld zwei Scheunen abbrannten, hieß es im Wiesent-Boten: "Der Verdacht der Brandstiftung richtet sich gegen 2 Kriegsgefangene, wie man hört." Zwei Monate später warnte der Wiesent-Bote: "Landwirte! Gebt Acht auf die Kriegsgefangenen! In der vergangenen Woche haben wir außer dem bereits berichteten Brand in Freienfels noch zwei weitere Feuersbrünste aus unserem Kreise zu verzeichnen."
In keinem der gemeldeten Brandfälle bestätigte sich der Verdacht. Im Gegenteil: Die französischen Kriegsgefangenen in Pretzfeld beteiligten sich bei einem Brand an den Löscharbeiten mit sehr großem Eifer, so berichtete das Forchheimer Tagblatt im April 1918, und lobte ausdrücklich ihren Einsatz.
Auch als Deutschland auf Druck der Obersten Heeresleitung um Waffenstillstand bitten musste, verhielten sich die Kriegsgefangen ruhig und zeigten keinerlei Widersetzlichkeiten. In Forchheim bot das Gefangenen-Depot sogar noch im November an, sie zum Preis von drei Mark pro Tag für vorübergehende Arbeiten wie Holzmachen an Private zu überlassen.
Geradezu hoffnungsfroh machte das, was der Wiesent-Bote im Dezember 1918 unter der Überschrift Abschiedsgruß der französischen Gefangenen von Ebermannstadt seiner Leserschaft vermittelte: "Anlässlich unseres Scheidens von Ebermannstadt erlauben wir uns der hiesigen Bevölkerung Herzlichen Dank und Lebewohl zu sagen. Vor allem gilt unser Dank unseren Arbeitgebern und insbesondere Herrn Bezirksarzt Dr. Mayr, der mit seltener Aufmerksamkeit und Wohlwollen ohne Rücksicht, ob Freund oder Feind, fast drei Jahre hindurch uns seine liebevolle Behandlung zuteil werden ließ. Wir werden die in Ebermannstadt verbrachten Zeiten stets in angenehmer Erinnerung behalten. Die Gefangenen Ebermannstadts."
Der versöhnliche Abschied der französischen Kriegsgefangenen wäre ein Ansatz zu einer Verständigung gewesen, die tatsächlich erst ein halbes Jahrhundert später - nach Faschismus, Massenmord und einem erneuten Weltkrieg - Konrad Adenauer und Charles des Gaulle nachhaltig realisiert haben.