Druckartikel: Verbeugung vor einem großen Blau

Verbeugung vor einem großen Blau


Autor: Markus Häggberg

Lichtenfels, Freitag, 02. November 2018

Markus Häggberg Jetzt also auch das. Zugefügt dem innersten Kern meiner Heimat. Dort, wo man im eigenen Stadtviertel in die Nachbarschaft blickt und auf ein Gebäude, das einem was bedeuten könnte. So ...


Markus Häggberg Jetzt also auch das. Zugefügt dem innersten Kern meiner Heimat. Dort, wo man im eigenen Stadtviertel in die Nachbarschaft blickt und auf ein Gebäude, das einem was bedeuten könnte. So wie bei dem blauen Haus mit all seinen Fenstern. So große, so blaue, so flächige, so viele.

Als Kind habe ich von unserem Balkon immer gerne hinüber auf diese Polstermöbelfabrik in Oberwallenstadt geblickt. Vor allem auf ihr großes Blau und vor allem dann, wenn die Sonne schien. Irgendwann kam mir zu Ohren, im obersten Stockwerk befände sich ein Schwimmbad. Das ließ meine Fantasie nicht mehr los, denn wie groß mochte das Schwimmbecken sein? Und wie tief? Und das alles dort oben und die Decke hält das?

Irgendwann hat mir jemand bestätigt, dass das mit dem Schwimmbecken kein Gerücht ist. Und oben erst, oben auf dem Dach. Da sind diese großen Buchstaben, die auf Oberwallenstadt und entlang einer Achse bis zur Stadtpfarrkirche schauen, als blickten sie von den Hollywood Hills. Als Kind habe ich immer diesen Vergleich gezogen und er blieb bei mir.

Nachts leuchteten die Buchstaben in roter Farbe, sie waren bei Dunkelheit von Kloster Banz aus zu sehen. Auch das habe ich als Kind einmal mitbekommen, auch wenn ich mir noch keinen Reim auf dieses sonderbare "&" im Firmennamen machen konnte. 24 000 Quadratmeter sagt man dem Gebäude samt umgebendem Asphalt nach.

Jetzt soll das Werktätige in ihm womöglich verlagert werden. Doch was wird dann aus diesem riesigen Bau, der mir als Kind so etwas wie das Wahrzeichen des innersten Kerns meiner Heimat war? Klingt kompliziert, aber Kinder sind ja auch nicht immer einfach.

Wird mein Wahrzeichen abgerissen? Würde es, kämen wohl ersatzweise wieder neue Wohnungen und Häuser hinzu. Dabei ist dieser Stadtteil ohnehin schon beinahe zur reinen Wohnburg geworden. Man kauft dort nicht mehr ein, man fährt dazu über die Brücke nach jenseits der Bahngleise und dann weiter. Spiel- und Bolzplätze gibt es auch nicht mehr, doch der See ruht immer noch und immerhin.

Irgendwann vor vielen Jahren fiel einmal das Licht in einem der roten Leuchtbuchstaben auf dem Dach aus und blieb verschwunden. Da dachte ich mir schon, dass das mal böse enden wird. Es würde mir irgendwie leidtun um diese blaue Erhabenheit. Ich wohne jetzt anderswo und es könnte mir ja egal sein. Es wird mir auch irgendwann egal sein. Man wird alt.