Überleben nach dem Zweiten Weltkrieg
Autor: Gerd Fleischmann
Kronach, Donnerstag, 09. Juli 2020
In der Zeit nach 1945 war auch im Kreis Kronach fast jedes Mittel recht, um zu überleben. Notwendige Lebensmittel konnte nicht herbeigeschafft werden, weil es an Autos fehlte. Bauern wurden aufgefordert, Getreide fürs Brotbacken abzuliefern.
Die Nachkriegsjahre standen ganz im Zeichen einer kritischen Ernährungslage. Die Lebensmittelration lag 1946 bei gerade mal 1275 Kilokalorien (kcal). Für viele Menschen ging es in jener Zeit um das nackte Überleben. So mancher Stallhase landete im fremden Kochtopf. Ja, von einer regelrechten Krisenkriminalität war die Rede. Deutschland glich einem einzigen großen Schwarzmarkt. Um zu überleben, war fast jedes Mittel recht. Schließlich war bei vielen Menschen die Unterernährung der Normalzustand.
Besondere Blüten trieb der illegale Handel. Die Stadt- und Landpolizeistationen reagierten mit verstärkten Platz-, Zug- und Bahnhofskontrollen auf das Überhandnehmen von Schieber- und Schwarzmarktaktivitäten.
Unmut wegen Brotkürzungen
Landrat Hans Pfretzschner hatte bereits im Mai 1946 die Militärregierung davon in Kenntnis gesetzt, dass die Ernährungslage besorgniserregend sei. Vor allem die Brotkürzungen sorgten für Unmut im Volk. Und es kam sogar zu Hungerdemonstrationen vor dem Kronacher Rathaus. Zahlreiche Frauen hatten sich am 7. Mai 1948 am Rathaus eingefunden und höhere Lebensmittelrationen gefordert. Die katastrophale Ernährungslage führte sogar dazu, dass die Arbeitsleistungen merklich sanken. Es häuften sich Ohnmachts- und Schwächeanfälle. Erhebliche Wachstumsstörungen und Untergewicht dominierten bei den Kindern. Lediglich neun Prozent der Buben hatten 1946 Normalgewicht.
Kostenlose Schulspeisung
Als segensreich erwies sich die kostenlose Schulspeisung (täglich 350 kcal.) ab Juni 1947 und bis 1950. Mit Hilfe der Amerikaner konnte im Landkreis Kronach - wie auch anderswo - das Schlimmste auf diese Weise verhindert werden. Durchschnittlich kamen zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr an 250 Schultagen pro Jahr an die 12 000 Kinder in den Genuss der Schulspeiseung. 1949 wurden immerhin 2,6 Millionen Essensportionen aus 300 Tonnen Lebensmitteln an die Schüler im Frankenwald verteilt. Erinnert sei aber auch an die legendäre Care-Paket-Aktion der Amerikaner für die Erwachsenen.
In der Nachkriegszeit lagen vielfach die Nerven blank. Wehe, es wurden bei den Kontrollen der Ernährungsämter A (Gewerbe) und B (Bevölkerung) überzählige, also nicht gemeldete Lebensmittelbestände, festgestellt. Da war dann der Teufel los und die Volksseele kochte förmlich. Die Tagesration für den Normalverbraucher betrug 1948: 285 Gramm Brot, 285 Gramm Kartoffeln, 2,7 Gramm Fett, 2,2 Gramm Käse, 14 Gramm Fleisch mit Knochen, 9 Gramm Fisch, 35 Kubikzentimeter Milch, 18 Gramm Nudeln, 18 Gramm Suppen, 9 Gramm Kochmehl, 25 Gramm Rohzucker, 11 Gramm weißer Zucker und 4,5 Gramm Kaffee-Ersatz.
In der ersten Bürgermeisterversammlung 1947 richtete Landrat Hans Pabstmann (CSU) einen Aufruf an die Kommunalpolitiker, gemeinsam die wachsende Not zu meistern: "Nur durch einen Ausgleich zwischen den vom Krieg Verschonten und seinen Opfern kann die soziale Kluft, in die sich das deutsche Volk zwischen Besitzenden und völlig Verarmten zu spalten droht, überbrückt und den harten Tatsachen des Jahres 1947 begegnet werden."
Auch der Leiter des Ernährungsamtes, Heidenreich, bezeichnete die Ernährungslage im Kreis als weiterhin äußerst ernst. Er bemängelte, dass die Fahrbereitschaft den Grossisten kein Transportmittel zur Verfügung stelle, wodurch für den Kreis vorgesehene Nahrungsmittel nicht stets sofort herbeigeschafft werden könnten.