Tragödie in 135 Metern Tiefe
Autor: Gerd Fleischmann
Stockheim, Donnerstag, 10. November 2016
Vor 80 Jahren ereignete sich in der Stockheimer Katharina-Zeche ein schlimmes Grubenunglück.
Ungezählt sind die Opfer, die der Bergbau in aller Welt forderte. In den Gruben des Steinkohlenreviers Stockheim-Neuhaus-Reitsch sind in der 400-jährigen Geschichte an die 100 Menschen tödlich verunglückt. Es gab immer wieder außergewöhnliche Ereignisse, die in die Zeit wirken und nachdenklich stimmen. Der 13. November 1936, es war ein Freitag, reiht sich ein in jene schmerzlichen Tage, die man am liebsten vergessen möchte.
Minimale Entlohnung
Der ehemalige "Paul-Müller-Schacht" des Steinkohlenbergwerks St. Katharina wurde dem Neukenrother Bergmann Baptist Fehn zum Verhängnis. Seit Monaten schon teuften die Kumpels den Schacht auf die geplanten 140 Meter ab, um dadurch neue Kohlefelder zu erschließen. Für eine minimale Entlohnung gruben sich die Männer immer tiefer in die Erde hinein.
Nur noch wenige Meter, dann war man am Zielpunkt angelangt, die 140-Meter-Sohle war regelrecht greifbar. Pünktlich trat an besagtem Freitag der 35-jährige Fehn - genannt Geusen-Baptist - die sogenannte Wasserschicht an. Für ihn war die Schufterei schon längst zur Routine geworden. Frohgemut hatte er seine Arbeit in 135 Meter Tiefe aufgenommen. Er wusste ja, in wenigen Tagen war das Ziel erreicht und der kräftezehrende Einsatz wäre zu Ende gewesen.
Doch das Schicksal wollte es mit dem Neukenrother anders. Eine Stunde später hauchte der im besten Mannesalter stehende Bergmann sein Leben aus. Zwei kleine Kinder waren zu Halbwaisen, seine Frau zur Witwe geworden. Dazu die knappe Meldung in der Tageszeitung "Bayerische Ostmark" am Montag, 16. November, über den tödlichen Unfall in Stockheim:
"Am Freitagabend gegen 20 Uhr ereignete sich im Stockheimer Bergwerk ein Unfall, dem ein Menschenleben zum Opfer fiel. Es war etwa eine Stunde nach Schichtwechsel. Drei Bergleute waren auf der Sohle des "Paul-Müller-Schachtes" beschäftigt.
Einige Arbeiter verluden oben Holzprügel in den Förderkorb, um sie in den Schacht einzuführen. Dabei rutschte ein etwa 60 Zentimeter langer Prügel aus und fiel am Förderkorb vorbei in den Schacht. Dieser Prügel, der etwa 135 Meter tief fiel, traf beim Auffallen einen der drei unten arbeitenden Bergleute und verursachte verschiedene Verletzungen im Rücken und an den Rippen, die den sofortigen Tod des Bergmannes herbeiführten. Bei dem Verunglückten handelt es sich um den 35 Jahre alten Bergmann Baptist Fehn, der früher im Bergwerk beschäftigt war und sich auch jetzt wieder zum Aufbau des neuen Werkes zur Verfügung gestellt hatte."
Pfarrer überbrachte die Nachricht
Wie die Leichenobduktion ergeben hatte, war Baptist Fehn sofort tot.
Selbst das Herz wurde beim Aufprall des schweren Holzprügels in Mitleidenschaft gezogen. Margareta Fehn, geborene Buckreus aus Reitsch, erfuhr erst gegen 22 Uhr vom Tod ihres geliebten Mannes. Pfarrer Max Wagner überbrachte die Hiobsbotschaft. Für die 33-jährige Frau war nach achtjähriger, glücklicher Ehe plötzlich eine Welt zusammengebrochen. Aber auch die beiden Kinder Felix (3) und vor allem Margarete (7) hatten unter dem Verlust ihres treusorgenden Vaters sehr zu leiden. Die Zeiten waren damals hart, vor allem dann, wenn plötzlich der Ernährer fehlte. Die schmale Unfallrente ließ keine großen Sprünge zu. Doch es gab für die Hinterbliebenen auch Lichtblicke im trüben Alltag. Die Nachbarschaft half, wo es ging. Die Bergbaugesellschaft unterstützte mit Kohlen und Bergholz. Tochter Margarete, die 1951 Albert Schmidt aus Reitsch ehelichte - sie beging mit ihm im Mai dieses Jahres eiserne Hochzeit - kann sich heute noch gut daran erinnern, dass Weihnachten 1936 Carl Christlein - ehemaliger Geschäftsführer der Bergbaugesellschaft - ihr eine Puppe und dem Bruder einen Baukasten überreichte.
Es dauerte Jahre, bis man den Verlust des Ehegatten und Vaters einigermaßen verschmerzte. Jahrzehntelang erinnerte auf dem Neukenrother Friedhof ein Grabstein mit folgender Inschrift an jenen unglückseligen Freitag im November 1936: "Hier ruhet unser lieber, unvergeßlicher Gatte und Vater Baptist Fehn, Bergmann von hier, geboren am 31. August 1901, gestorben am 13. November 1936 durch Unglücksfall im Bergwerk zu Stockheim."