Druckartikel: Tot in der Bibliothek

Tot in der Bibliothek


Autor: Pauline Lindner

Ebermannstadt, Montag, 14. November 2016

In seinem Buch "Der Fall Rückert" verbindet Johannes Wilkes eine kriminalistische Spurensuche mit philosophischen Überlegungen. Jetzt las er beim "Blätterwald"-Festival.


Es ist ein ungewöhnlicher Weg, den Johannes Wilkes eingeschlagen hat, um ein Kenner Friedrich Rückerts und zugleich ein Krimiautor zu werden. Wilkes Buch, das beide Ansprüche miteinander verbindet, stellte er nun in der Literaturreihe "Blätterwald" des Landkreises Forchheim in der Mediathek des Gymnasiums Fränkische Schweiz vor.
Einen Krimi, der am Lieblingsurlaubsziel spielt, in dem Falle auf Spiekeroog, kann man sich als Hommage an den geliebten Ort vorstellen. Aber ein Jugendpsychiater, der nicht nur mit dem Werk des fränkischen Dichters und Orientalistikprofessors vertraut ist, sondern auch sonst sich tiefschürfend mit Literatur beschäftigt? Aber gerade das hat seinen Ausgangspunkt im Beruf. Literarische Gestalten als Hilfsmittel bei der Betreuung psychisch Kranker stand am Anfang. "Die Chance, dass vor allem Kinder eine solche Figur aufgreifen und so ihre Ängste artikulieren können", sagt Wilkes selbst.
Und daraus wurde im Laufe der Zeit die ganz persönliche Auseinandersetzung mit literarischen Gestalten, mit denen in den Büchern und mit denen, die sie geschaffen haben. Wenn dann noch ein ernstes Interesse an der Wahlheimat Erlangen und ihrem Umland dazukommt, ist der Weg zum Erlanger Rückertkreis und den Geschehnissen an der Friedrich-Alexander-Universität im 19. Jahrhundert nicht mehr weit. Digitale Zettelkästen hat deshalb Wilkes schon lange gefüllt, um das eine oder andere an wenig Bekanntem in ein Buch einfließen zu lassen.


Fehlende Manuskripte

Die Box mit Rückert-Themen ist gut gefüllt, merkten auch die Zuhörer in Ebermannstadt bald. Wilkes ging es nur vordergründig ums Vortragen aus seinem Krimi "Der Fall Rückert". Den beeindruckenden Sprachwissenschaftler und unkonventionellen Dichter und Denker ins Bewusstsein zu rufen, war sein Kernanliegen.
Der Plot ist schnell erzählt: Kommissar Mütze, der auch in den Spiekeroog-Krimis ermittelt, hat beruflich nach Erlangen gewechselt. Er wird zu einer toten Bibliothekarin in die alte Uni-Bibliothek gerufen. Fehlende Manuskripte Rückerts sind der einzige Ermittlungsansatz. Mütze wendet sich an Fachleute, insbesondere aber an die Rückertgesellschaft in Schweinfurt. "Wie ich deren Vorsitzenden anrief, war der gern bereit, bei der Recherche zu helfen", erzählt Wilkes mit schalkhaftem Lächeln. "Ich erreichte seine Sekretärin, und als die hörte, ihr Chef solle ermordet werden, öffnete sie mir alle Türen."
Die Ermittlungen führen den Kommissar zum Wohnhaus Rückerts in Neuses bei Coburg, zum "Pfister" nach Weigelshofen und - für den Showdown - in die Coburger Landesbibliothek in Schloss Ehrenfels. Und dort löst sich das Geheimnis, weshalb ein Mensch drei andere ermordet, um an Schriften eines Dichters zu gelangen.
Gleichberechtigt stehen an diesem Abend die lebhaft vorgetragenen Passagen aus dem Krimi und die Exkurse ins Leben und Wirken Rückerts nebeneinander. Die bekanntesten Texte dürften dessen Kindertotenlieder sein, die Gustav Mahler vertont hat. Rückert hat sich so seine Trauer um zwei seiner Kinder von der Seele geschrieben. Mahler dagegen, so weiß Wilkes, brach nach fünf Teilen ab, weil er verstummen musste nach dem Tod seiner Tochter.
Erlangen gedenkt des Professors mit einem Brunnen im Schlossgarten. Mit den dort angebrachten Gedichtzeilen über die Liebe entlässt Wilkes sein Publikum in die Pause. Um dort wieder anzuknüpfen, bei den 25 000 Gedichten - beileibe sind nicht alle veröffentlicht und von Rückert auch nicht dafür bestimmt gewesen. Man spürt, nicht die Übersetzungen faszinieren Wilkes. Es ist die Persönlichkeit des Dichters, die er auch in Anekdoten seinem Krimipublikum nahebringen will.
1826, als Rückert den Ruf nach Erlangen erhielt, verließ der Ansbacher August Graf von Platen vernichtet die Hugenottenstadt und kehrte nie wieder nach Deutschland zurück. Nachdem er in einem literarischen Streit mit Heinrich Heine den Kürzeren gezogen hatte. Allerdings hatte Platen in die unterste antisemitische Schublade gegriffen und Heine zudem geoutet. Vereint sind die beiden Schriftsteller auf eine denkbar traurige Weise: Beider Bücher landeten in den Feuern der NS-Bücherverbrennungen.