Kritiker der Energiewende sehen neben den hohen Kosten die Versorgungssicherheit als Problem an. Kann es jemals Strom aus 100 Prozent Erneuerbaren Quellen geben?
Wenn die gesetzgeberische Weiche richtig gestellt wird, ist das vorstellbar. Wie lange das dauert, hängt eben von der Gesetzgeberseite ab, die Leitplanken und Anreize entsprechend zu setzen. Doch bitte bedenken Sie: Nur auf die CO2 -freie Stromversorgung zu achten, ist "zu kurz gesprungen". Wir brauchen insbesondere im Gebäudebereich (weg vom Heizen mit Öl, Gas und Kohle) und in der Mobilität erhebliche Fortschritte, um die gesetzten Ziele einer Energieversorgung ohne fossile Energieträger auch nur annähernd zu erreichen.
Die Überlandzentrale schafft es - 100 Prozent "grüner Strom". Wie gelingt das?
Die mittlerweile knapp 110 Prozent (!) grüner Strom in unserem Versorgungsgebiet sind aus der bilanziellen Sicht zu betrachten. Das heißt, in Monaten mit viel Wind und viel Sonne haben wir zu viel elektrischen Strom und im umgedrehten Fall natürlich zu wenig. In der Jahresbilanz haben wir etwa zehn Prozent mehr Strom, als wir zur Versorgung unserer Netzkunden bräuchten. Das hat mit der ländlichen Struktur unseres Versorgungsgebietes zu tun. Hier konnten sowohl Windkraftanlagen, Biogasanlagen und natürlich in sehr hohem Maße Photovoltaikanlagen gebaut werden.
Andererseits haben wir auf der Nachfrageseite keine Großindustrie. Was unsere Unternehmensphilosophie betrifft, haben wir damit begonnen, zu Zeiten von regenerativen Stromüberschüssen diesen Strom entweder über unsere Wärmepumpenprojekte zur Beheizung von Gebäuden zu nutzen (Ablösen von Öl- und Gasheizungen) oder in den letzten Jahren auch für die Elektromobilität.
Deutschland hat europaweit die höchsten Strompreise. Ist das nicht ein Manko, das die Akzeptanz der Energiewende schmälert?
Hier haben Sie absolut Recht, aber bitte definieren Sie nicht die "höchsten Strompreise", sondern beziehen Sie das auf die extrem hohen staatlichen Belastungen auf den Strompreis. Der reine Preis für elektrische Energie ist in Deutschland im Vergleich absolut konkurrenzfähig.
Fürchten Sie, dass die Strompreise weiter steigen könnten, etwa durch den teuren Netzausbau?
Nein, durch die langen Abschreibungsdauern und die Vereinheitlichung der Kosten für das Übertragungsnetz wird es nicht zu signifikanten Preissteigerungen bei den Kunden kommen.
Wenn Sie die Zeit zehn Jahre zurückdrehen und die Energiewende von Null beginnen könnten - gäbe es Dinge, die Sie aus der heutigen Warte und aus der Sicht des Praktikers anders gemacht hätten?
Aber sicher doch! Der Fördermechanismus hätte stärker berücksichten müssen, wo sogenannte Energiesenken vorhanden sind, um die Anlagen der regenerativen Stromerzeugung dort zu platzieren, wo auch der Verbrauch stattfindet. Somit hätten wir zumindest zum Teil den Ausbau von Übertragungsnetzen einsparen können, und die Dezentralität wäre in schnelleren Schritten umsetzbar gewesen. Eine schwierige Situation ist natürlich auch dadurch entstanden, dass man von politischer Seite (das muss man parteiübergreifend sehen) die Energieversorgung nicht langfristig in einen Masterplan eingebettet hat. Nach Fukushima war ein deutlicher Stimmungswandel hin zu den regenerativen Erzeugungen wahrnehmbar, der mittlerweile doch deutlich abgeflaut ist. Damals wäre ein guter Moment für ein Gesamtkonzept gewesen.
Gesetzt den Fall, es gäbe den großen Blackout - kann sich ein regionaler Stromversorger gegen ein solches Ereignis absichern?
Aus heutiger Sicht könnten wir bei einem flächendeckenden Blackout unsere Stromversorgung nicht aufrecht erhalten! Dies hat insbesondere auch mit der Technik bei den Einspeiseanlagen zu tun. Allerdings werden wir versuchen, uns in Zukunft mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln noch stärker in Richtung des zellularen Ansatzes (Versorgung mit Energie aus regionalen Quellen) zu bewegen. Da sind wir auf einem guten Weg.
Die Fragen stellte Günter Flegel.