Stress ist ein Stück weit subjektiv
Autor: Heike Paulus
Bad Kissingen, Montag, 23. März 2020
Dr. Günter Wimschneider ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und hat eine Praxis in Hausen. Er rät dazu, sich nur einmal am Tag über Corona zu informieren und sich ansonsten abzulenken.
Wir alle befinden uns derzeit in einer Ausnahmesituation. Die soziale Isolation und das Herunterfahren des öffentlichen Lebens können gar nicht spurlos an unserer Psyche vorübergehen. Wir haben mit Dr. Günter Wimschneider darüber gesprochen. Er ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und hat seine Praxis in Hausen.
Herr Dr. Wimschneider, wenn Menschen ihre sozialen Kontakte auf das Nötigste reduzieren müssen, wie derzeit wegen des Coronavirus. Wie wirkt sich das auf die Psyche aus?
Dr. Günter Wimschneider Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er hat lange Zeit in Überlebensgemeinschaften zusammengelebt, um gefährliche Tiere gemeinsam abzuwehren und bei der Nahrungsgewinnung erfolgreicher zu sein. Soziale Kontakte geben ihm also Sicherheit, Zugehörigkeit, Bestätigung und Sinn und fördern Erfolgserlebnisse.Wenn das alles weniger wird, kann sich das ungünstig auf die Psyche und Stimmung der Menschen auswirken. Das Risiko für psychische Krankheiten kann also steigen.
Selbst Fachleute wissen nicht wirklich, wie sich die Lage entwickeln wird. Verstärkt diese Unsicherheit noch das Gefühl von Hilflosigkeit?
Je mehr wir das Gefühl haben, nichts tun zu können, umso eher fühlen wir uns hilflos und ausgeliefert - wir haben das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Daraus leiten sich auch Hamsterkäufe ab als Ersatzhandlung, um wieder das Gefühl zu haben, mehr Kontrolle zu haben.
Wer sich mit den Quarantäne-Maßnahmen identifizieren kann, der fühlt sich eher besser, da er ja glaubt, das Richtige zu tun. Wer sich durch die Maßnahmen beruflich und wirtschaftlich in seiner Existenz bedroht fühlt und das Virus für nicht wesentlich gefährlicher als eine Influenza-Infektion hält, fühlt sich wohl eher durch die Maßnahmen hilflos ausgeliefert - da ja auch nicht absehbar ist, wie die Lage in vier Wochen sein wird.
Übrigens: In der Saison 2017/18 gab es in Deutschland neun Millionen Influenza-Infizierte mit rund 25 000 Todesopfern - überwiegend ältere, geschwächte Menschen in Altenheimen. Und das Gesundheitswesen ist nicht zusammengebrochen.