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St. Blasius drohte herabzufallen


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Vierzehnheiligen, Freitag, 03. Juni 2016

Der Zustand der Glocken der Basilika ist katastrophal. Es fehlte nicht viel, und es wäre ein Unglück passiert.
Die große Glocke in der Stadtpfarrkirche in Lichtenfels stammt höchstwahrscheinlich aus Vierzehnheiligen. Foto: privat


Die Zeit, als wunderbare Glockenklänge der Basilika Vierzehnheiligen das Maintal erfüllten, kommt wieder. Das hoffte Basilikaorganist Georg Hagel bei seinem Vortrag, den anlässlich der Hauptversammlung der Freunde und Förderer der Basilika hielt.
Hagel absolvierte eine Ausbildung zum Glockensachverständigen und stellte den dramatischen Istzustand des Geläuts, das schon zum Teil stillgelegt wurde, dar. "Nicht nur die Glocken sind gefährdet, sondern auch die Substanz der Türme", befürchtete er. Der Zustand sei statisch, technisch und klanglich inakzeptabel. Aus Sicherheitsgründen wurden Weihnachten die beiden großen Glocken stillgelegt. "Sie sind die einzigen erhaltenen paarweise gegossen Großglocken des Bamberger Glockengießers J. Lotter und sind deswegen von großem historischem und klanglichem Wert", betonte Hagel. Die Wurzeln des Übels seien Stahljoche, in den die Glocken hängen, sowie instabile und mit Stahl massiv verstärkte Glockenstühle des 19. Jahrhunderts, die mit dem Mauerwerk der Türme verbunden sind. Sie übertrügen gefährliche Schwingungen an das Mauerwerk und verzerrten den Klang. Holzglockenstühle dagegen schwängen mit und bildeteten ähnlich wie der Boden einer Geige einen Resonanzkörper.


Dumpfer Klang machte hellwach

Der Referent schilderte ausführlich, wie er die Schäden an den Glockenstühlen entdeckte. Als er im Sommer vergangenen Jahres mit offenem Autofenster den Berg zum Dienst in der Basilika hochfuhr, hörte er die Glocke Nr. 2, St. Blasius, anders läuten als sonst: dumpfer, schwächer, irgendwie blecherner.
Nach der Messe holte er sich den Turmschlüssel und bestieg den Südturm, auch Staffelsteiner Turm genannt. "Was sich mir bot, war ein Anblick des Schreckens: Von den drei eisernen Haltebändern, welche die Glocke am Joch befestigten, waren zwei gerissen, das dritte bereits gelockert, sodass die Glocke schon schief hing und am Läuteseil scheuerte", so Hagel.
Sofort drehte er die Sicherungen für das Geläut im Südturm raus. Die Wartungsfirma erneuerten die gerissenen Haltebänder, aber damit sei die Ursache der Schäden nicht behoben worden, so Hagel. Seine Neugier war geweckt. Warum rissen solche Halterungen, was ist die Ursache, woher kommen solch immense Krafteinwirkungen? Und warum passiert das nicht häufiger, auch in anderen Kirchen?
In dem Restaurierungsbericht über die Basilika von Claus Peter wurde er fündig. Peter weist bereits 1990 darauf hin, dass Stahljoche nach etwa 30 bis 35 Jahren Materialermüdungen zeigen und reißen könnten. Und dass sie Schwingungen nicht dämpften und der Klang der Glocken beeinträchtigt werde. Noch dazu, wenn sie gekröpft seien. "Im Südturm hatten wir bis dahin immer das Problem, dass die Glocke Nr. 3 Aussetzer hatte und manchmal unrhythmisch läutete", berichtete Hagel. Auf seine Nachfrage bei der Wartungsfirma, warum, bekam er zur Antwort, dass das gekröpfte Stahljoch schuld sei und die zusätzlichen Obergewichte über dem Joch und überhaupt die Klöppel falsch geschmiedet wären. Das wäre alles zu vermeiden, wenn die Glocken wieder wie seit hunderten von Jahren Holzjoche hätten. Hagel stellte dann fest, welche klangliche und technische Katastrophe in den Türmen hängen. Um die Aussetzer der großen Glocke im Nordturm in den Griff zu bekommen, ließ die Kirchenverwaltung auf sein Drängen hin alle drei Glocken wieder auf Eichenholzjoche hängen. "Doch sie läuteten weiterhin in einem Stahlglockenstuhl, der auch noch in die Türme eingemauert war, das Dümmste, was man eigentlich machen kann", bedauerte er.
Nachdem er mit dem Sachverständigen Claus Peter zwei Tage in den Türmen verbracht hatte, kam die Maschinerie der Sanierung ins Rollen. Die Empfehlung der Fachleute: Die beiden stillgelegten Glocken sollen später im Südturm wieder auf Eichenholzjoche gehängt werden. Dazu wird der jetzige Glockenstuhl aus Stahl entfernt und ein Stockwerk tiefer zur Demonstration für nachfolgende Generationen eingebaut.


Ohne Schrauben und Nägel

Der neue Stuhl soll aus massivem Eichenholz in rein zimmermannsmäßigem Verbund bestehen, also ohne Schrauben, Platten, Nägel oder Stahlbändern ersetzt, wie vor 1000 Jahren auch. Im Nordturm wird der eingemauerte Stahlglockenstuhl ebenfalls entfernt und durch Eichenholz ersetzt. Beide Glockenstühle werden so konstruiert, dass sie noch weitere - kleinere und höhere - Glocken, ein sogenanntes Zimbelgeläute, aufnehmen können und so die historischen alten Glocken bei den häufigen Wallfahrtsein- und auszügen entlasten.
Die Glocke Nr. 3 (Nothelfer) passt sich nicht in das restliche Geläute ein und klingt dissonant. Sie wird künftig nur noch alleine läuten können. Als Ersatz muss dazu eine neue gegossen werden, die sich klanglich in das Plenum einfügt und nicht mehr den Gesamtklang stört.
"All das soll spätestens im Jahre 2022 vollendet sein, denn da jährt sich die Einweihung der Basilika zum 250. Mal", schloss Georg Hagel seinen Bericht. "Wir stehen damit im Reigen von vielen prominenten Kirchen, die ihr Geläute erweitert, restauriert und wieder umgerüstet und auf den althergebrachten, handwerklich soliden Stand gebracht haben, der schon vor hunderten von Jahren Gültigkeit besaß." Im Juli wird über das weitere Vorgehen entschieden. Eines ist aber jetzt schon sicher: Die Sanierung kostet viel Geld und wird ohne die Spenden aller, die das wundervolle Geläut wieder hören wollen, nicht zu schaffen sein.
Nach der Verstaatlichung des Klosters Langheim mit der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen wechselten viele Glocken den Besitzer. Die im Jahre 1772 gegossene große Glocke hängt heute in der Stadtpfarrkirche in Lichtenfels und stammt vermutlich aus Vierzehnheiligen. Weitere Forschungen stehen noch aus. Im Ersten Weltkrieg wurden drei große Glocken beschlagnahmt und zerstört.