So viel DDR ist es gar nicht
Autor: Rainer Lutz
Coburg, Mittwoch, 06. Mai 2020
Die Beschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie werden teilweise mit dem Leben in der DDR verglichen. Wer den Arbeiter- und Bauernstaat erlebt hat, sieht das anders - sagt Frieder Schneider.
Reisefreiheit ade, Mangelwirtschaft, Hamsterkäufe, aufkommende Blockwartmentalität und allenthalben Versuche, den staatlichen Druck zumindest ein bisschen zu unterlaufen - das Leben unter den Einschränkungen, die das Coronavirus an der Ausbreitung hindern sollen, erinnert an den Alltag in der DDR. Wirklich? "In der DDR war das anders", sagt Frieder Schneider. Mit seiner Frau Kerstin ist er im Arbeiter- und Bauernstaat aufgewachsen. Mit ihr hat er ihn verlassen, sofort als es möglich war.
"Du darfst gerade nicht reisen, das stimmt. Aber du hast einen Reisepass, den hatten wir damals nicht", sagt er. Reisen ging recht einfach, wenn der Ausflug in die Tschechoslowakei gehen sollte. Schon für die meisten anderen Ostblockstaaten war eine besondere Genehmigung nötig. Über den "Antifaschistischen Schutzwall" führte praktisch kein Weg. "Dabei wusste damals auch bei uns jeder, dass die Sicherungsanlagen auf unserer Seite der Grenze waren", sagt Frieder Schneider.
Wer den momentanen Zustand in der Bundesrepublik für eine Art DDR-Modellversuch hält, hat nach Frieder Schneiders Überzeugung in den vergangenen 30 Jahren wohl einiges vergessen. Blockwartmentalität? "Leute, die den ganzen Tag auf dem Balkon stehen, um zu schauen, ob jemand was tut, wofür sie ihn anzeigen können, gab es schon immer und wird es immer geben", meint Frieder Schneider.
Mangel als Normalität
Und zum Thema Mangel: "In der DDR gab es ja irgendwie alles nicht. Aber, dass es mal kein Klopapier gegeben hätte, daran könnte ich mich nicht erinnern." Und da gibt es dann doch eine Art Parallele. "Du hast Dinge gekauft, weil es die gab, nicht, weil du sie gebraucht hast", sagt Frieder Schneider. Fliesen etwa, Holz, Rauhfasertapete, Baustoffe generell, aber auch Bananen oder Wernesgrüner Bier. Die Edelmarke kostete mehr als den Einheitspreis von 92 Pfennigen und war heiß begehrt, aber, falls überhaupt verfügbar, auch meistens kontingentiert. "Wenn du mal Fliesen hattest, konntest du die bestimmt irgendwann gegen was tauschen, das du wirklich gebraucht hast", beschreibt er das System Tauschhandel.
Wohl eher Zweckgemeinschaften
Also doch die berühmte Solidarität, das gegenseitige Unterstützen, das gern den DDR-Bürgern zugeschrieben wird. Auch so etwas, das gerade auflebt, in Corona-Zeiten. Frieder Schneider lächelt: "Das waren wohl eher Zweckgemeinschaften. Der eine braucht was, das der andere hat, und umgekehrt. Du wusstest aber nie, ob das so einer ist ..." So einer, das war einer, der sehr freundlich tat, aber in Wirklichkeit etwas erfahren wollte, das er den unfreundlichen Herren der Staatssicherheit erzählen konnte.
Ein paar Ähnlichkeiten erkennt schon auch Frieder Schneider in der momentanen Situation. Erfinderisch seien die Leute in der DDR geworden. Man habe Wege gesucht und gefunden, zu improvisieren, aus dem, was eben nur da war, das Bestmögliche zu machen. Und ja, auch darin, sich im engen Korsett staatlicher Regelungen und Bestimmungen ein wenig mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen, entwickelten die Leute ein beachtliches Geschick.
"Ein wichtiger Unterschied ist es, ob etwas verboten ist, weil es eben verboten ist, oder klar ist, warum es verboten ist", sagt Frieder Schneider. Und noch wichtiger: "Wenn du denen damals nicht gepasst hast, dann haben die dich einfach weggesperrt und fertig." Gerade diese Erinnerung macht Frieder Schneider mit seinem Erfahrungshintergrund dann doch etwas sensibler für manche Erscheinungen. "Wenn ich dann sehe, dass Leute, die friedlich, mit Abstand und Maske gegen die Beschränkungen demonstrieren und die Polizei hart dazwischen geht, dann denke ich schon, dass wir aufpassen sollten, dass da nicht etwas anfängt, dass nicht sein sollte."