Druckartikel: Singende Knaben begeistern

Singende Knaben begeistern


Autor: Klaus Klaschka

Kulmbach, Sonntag, 15. Mai 2022

Konzert  Der Windsbacher Knabenchor konnte im dritten Anlauf in der Petrikirche doch noch auftreten.


"Der Chor wird wieder abgereist sein. Doch er wird noch Tage danach im Raum der Petrikiche präsent bleiben." Derart pathetisch fasste Friedrich Hohenberger das Konzert des Windsbacher Knabenchors am Freitagabend am Ende zusammen − und selbst penibelste Musikkritik kann diesem Urteil des Kulmbacher Dekans nicht widersprechen: Es war Chormusik in Perfektion, mit der 57 Knaben bis junge Herren den ehrwürdigen Raum der Petrikirche erfüllten. Die Windsbacher stehen für die Synthese von Musikalität, Vielseitigkeit, Genauigkeit und vor allem unaufdringliche Reinheit des Klangs. Schon immer: Kontinuierlich seit 75 Jahren, in denen bislang lediglich drei Dirigenten das musikalische Aushängeschild des Windsbacher Johann-Sebastian-Bach-Gymnasiums auf höchstem Weltniveau hielten.

Die Musik fängt bei den Windsbachern dort an, wo sie für andere aufhört: oberhalb der schönen Klangoberfläche. Und man muss nicht sonderlich sensibel sein, um dabei einen Schauer zu spüren. Ungezählte Details gab es in allen Stücken des Programms zu entdecken. Der Affekt jedes Wortes, jeder Silbe war minutiös getroffen und ausgekostet. Stilfragen zwischen einem vorbarocken Heinrich Schütz oder einem Romantiker Mendelssohn Bartholdy bis hin zu den akademischen Einfällen Bruckners und den sensiblen Sekundreibungen von Arvo Pärt spielen dabei keine Rolle. Choristisch ausgesprochen schwierige Stücke wie Mendelssohns achtstimmige Motette mit Soli über Psalm 22 bewältigt der Chor makellos. Ebenso Benjamin Brittens "A Hymn to the Virgin" mit dem zweiten Chor aus der Ferne von der Empore.

Stimmen kommen wie aus dem Nichts

Martin Lehmann als Leiter des Chores verliert in der Fülle der penibel ausgekosteten Einzelheiten dennoch nie den Blick für das Ganze. Die einzelnen Stimmen kommen wie aus dem Nichts und tasten sich durch alle musikalischen Sentiment ohne dabei schwelgerisch zu werden. Alle musikalischen Fäden laufen bei Lehmann zusammen und gehen von ihm aus; die groben Stricke bis hin zu den feinsten Gespinnsten. Er exhibitioniert sich physisch und mimisch mit ausladenenden Bewegungen bis hin zu Zeichen nur mit den Fingerspitzen − und überträgt dies an den Chor zurück, der sich wiederum ausnahmslos und beständig auf ihn konzentriert. So entsteht jene musikalische Einheit und jene Klang- und Stimmungsdifferenzierung, die ebengerade die Windsbacher ausmacht. Denn es ist der durchweg homogene Klang, mit dem der Chor betört. Es ist die immense Entwicklungsarbeit am einzigen Musikgymnasium in Bayern in der ländlichen Kleinstadt Windsbach, die man hinter diesem Klang nur erahnen kann. In der die Jungs in maximal zehn Jahren, allerdings bei besten Voraussetzungen und Betreuung und Internatsangebot, erfahren können, dass es bei ihrer Ausbildung nicht nur darum geht, dass und was sie lernen, sondern auch darum, wie sie ihre individuellen Charaktere am besten gemeinsam umsetzen.

Das gilt für den altklug korrekt erscheinenden Buben in der ersten Reihe im Sopran, über den beiläufig relaxten Wuschelkopf im Alt, den exaltiert Engagierten im Tenor bis hin zum cool abgeklärten postpupertären Fundamentalbass.

"Nicht erst seit den Pisa-Studien gilt als gesichert, dass klassische Musik Intelligenz und soziale Kompetenz fördert − sofern man sie aktiv betreibt! Seit jeher wird deshalb in Windsbach die musikalische Bildung eng mit der Persönlichkeitsbildung verknüpft", fasst die Einrichtung der evangelischen Landeskirche ihr pädagogisches Konzept zusammen.

Die jährlich 50 bis 70 Konzerte des Chors zeigen damit nur die oberste Spitze des Eisbergs dessen, was pädagogisch möglich ist und nicht nur, aber besonders über die Musik verstärkt vermittelt werden kann: Fähigkeiten wie Konzentration, Kooperation und Durchhaltevermögen.

Aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen musste der Chor seit März 2020 viele Konzerte absagen und seinen Auftrittsplan den aktuellen Bedingungen anpassen. Die Einschränkungen scheinen jetzt nicht mehr notwendig zu sein. Die Chorknaben haben nun wieder Möglichkeiten, als geschlossene Einheit aufzutreten, denn "Musik braucht insbesondere auch Zuhörer", wie Dekan Hohenberger feststellte.

Kongenial gestaltete auch Stadt- und Dekanatskantor Christian Reitenspieß das Konzert mit drei Intermezzi auf der Orgel mit: Bachs BWV 653b in der nicht-vereinfachten Fassung, Jehan Alains verträumtes, fast schon esoterisches Klangaquarell "Le jardin suspendu" und zwei Stücke von Max Reger, der an sich an der Orgel gerne effektvoll "zulangt", in seinem opus 69 aber zwei Stücke geschrieben hat, die genau zur unaufdringlichen brillianten Klangqualität der Windsbacher passen.