Druckartikel: Sie sehnen sich nach Zukunft

Sie sehnen sich nach Zukunft


Autor: Sabine Weinbeer

Eltmann, Montag, 23. März 2015

Willkommens-cafe  Eltmanner setzten sich mit Asylbewerbern im Stadtgebiet an einen Tisch und hörten sich deren Lebensgeschichten an. Manche kamen unter größter Lebensgefahr in Deutschland an. Oft gibt es keine Alternative.
Familie Madani gelang unter dramatischen Bedingungen die Flucht aus Syrien. In Eltmann werden sie von Siza Zaby unterstützt (rechts), die ebenfalls aus Syrien stammt und am Sonntag übersetzte.


von unserer Mitarbeiterin Sabine Weinbeer

Eltmann — "Mit so viel Interesse haben wir gar nicht gerechnet." Klaus Förtsch strahlt, als er weitere Stühle quer durch den Kolpingsaal in Eltmann trägt. Viele haben sich einladen lassen zum Willkommens-Café für Asylbewerber, dem auf Anregung von Bürgermeister Michael Ziegler (CSU) bald ein Frühlingsfest folgen soll, um noch mehr Raum für persönliche Kontakte zu haben. Die Idee wurde am Kolping-Gedenktag geboren. Reiner Dümpert freute sich, dass auch andere Gruppen und Einzelpersonen in das Vorhaben einstiegen, denn viele engagieren sich in Eltmann bereits für die Flüchtlinge.

Vor dem Kriegsdienst bewahrt

Akribisch vorbereitet hatte sich Katharina Panitz. Die Rechtsanwältin stellte die Länder vor, aus denen die rund 100 Asylbewerber kommen, die in Eltmann und Stadtteilen untergebracht sind. Die deutschen Gäste, aber auch Flüchtlinge aus anderen Regionen erfuhren, warum so viele Menschen ihre Heimat hinter sich lassen, die letzten Ersparnisse Schleppern geben, um dann auf einem "Seelenverkäufer" im Mittelmeer zu landen. So erzählte Katharina Panitz, dass Eritrea das "Nord-Korea Afrikas" genannt wird. Die Situation dort erklärt, warum ein Großteil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die derzeit von der Kinder- und Jugendhilfe St. Josef Eltmann betreut werden, Jungs aus Eritrea sind. Viele Eltern schicken ihre Söhne weg, um sie vor dem Kriegsdienst zu bewahren.
Ein grundsätzliches Problem in allen Herkunftsländern sind die religiösen Auseinandersetzungen, nicht nur dort, wo der IS wütet. In Afghanistan regieren die Warlords, Stammesinteressen gehen vor Staatsinteressen in vielen Ländern, in Somalia zerfällt die Staatsordnung, eine Million Binnenflüchtlinge irren durch das Land.

Als Christ vogelfrei

Zu den Informationen von Katharina Panitz kamen Schilderungen von Flüchtlingen. Siza Zaby, die seit 16 Jahren in Deutschland lebt, stammt aus Syrien, sie übersetzte für die arabisch-sprachigen Gäste. Einige von ihnen, wie Ali, sprechen zwar schon gut Deutsch, doch um vor so vielen Zuhörern ihre Geschichte zu erzählen, griffen sie doch lieber auf ihre Muttersprache zurück. So erfuhren die Zuhörer von Ali aus dem Süd-Iran, dass er nach seinem Übertritt zum Christentum quasi vogelfrei war, jeder hätte ihn straffrei ermorden dürfen. "Jeder, der hier ist, ist dankbar für die Aufnahme, aber jeder liebt auch sein Heimatland", betonte Ali.
Auch Setaveh stammt aus dem Iran. Durch ihre Weigerung, zum Islam überzutreten und sich zu verschleiern, wurde ihr die Fortsetzung ihres Studiums verweigert. Sie eröffnete eine Boutique, in der sie ständig Repressalien und Diebstählen ausgesetzt war. Schließlich wurde sie inhaftiert und ausgepeitscht. Ihrer Familie gelang es, ihr die Flucht zu ermöglichen.

"Hier Tod, dort vielleicht Tod"

Intensiv kümmert sich Siza Zaby um die Familie Madani, die aus Syrien flüchtete. "Hier Tod, dort vielleicht Tod", so habe die Entscheidung gelautet, nachdem in Damaskus Bomben in direkter Nachbarschaft einschlugen, erzählte der Vater von drei Kindern zwischen sieben und fünf Jahren.
Als er die dramatische Flucht schildert, muss er weinen. Das Flüchtlingsboot war so überfüllt, dass es kenterte, die Familie kämpfte über einen Tag im Wasser ums Überleben, bis sie von italienischen Hubschraubern entdeckt wurde. Bis nach Libyen hatten sie sich durchgeschlagen, als Illegaler gelang es ihm, die 7500 Dollar für die Fluchthelfer zu erarbeiten.
Pädagoge Peter Rödelmaier gab Einblick in die Situation der minderjährigen Flüchtlinge, die ohne Eltern hier ankommen und von St. Josef in Eltmann in mittlerweile fünf Wohngruppen betreut werden. 16 Jungs aus sieben Ländern, manche komplett von ihren Eltern abgeschnitten, andere können hin und wieder per Email nachfragen, wie es ihnen geht.
Besonders diese Teenager suchen Kontakt zu Gleichaltrigen, nehmen jedes Angebot dankbar an. Die Sportvereine seien sehr aufgeschlossen, berichtete Rödelmaier. Der Kinder- und Jugendchor machte deutlich, dass Sänger willkommen sind. "Die Schule zu besuchen, ist für sie ein hohes Gut", erzählte Rödelmaier im Gespräch mit unserer Zeitung, "die haben alle einen Plan im Kopf", deshalb sind sie sehr intensiv beim Deutschunterricht dabei.
Nicht alle haben schnell Anspruch auf einen Sprachkurs, viele von ihnen haben in Eltmann das Glück, dass Ehrenamtliche, meist frühere Lehrer, sie besuchen und ihnen Unterricht geben. Günther Lenhart ist einer von ihnen. Er spricht zwar englisch und französisch, jedoch nicht arabisch, aber er kann die arabische Schrift lesen. Das Gespür für die Sprache schärft er mithilfe des Internets. "Auf Al-Jazeera können Sie sich den Text vorlesen lassen und dann die Übersetzung", erzählt er. Am Kuchenbuffet, das die Besucher selbst bestückten, wodurch sich eine kleine Weltreise ergab, kamen viele Gespräche zustande, für die noch mehr Raum sein soll bei einem Frühlingsfest, das Bürgermeister Michael Ziegler anregte: "Wir leben alle auf einer Welt und wir haben Verantwortung dafür.". Er dankte den Organisatoren und freute sich über das rege Interesse. Viele Gäste füllten einen Fragebogen aus und meldeten Interesse an, sich zu engagieren.