Schwierige Integration: Als die Heimatvertriebenen in den Landkreis Kronach kamen
Autor: Gerd Fleischmann
Kronach, Dienstag, 09. Juni 2020
Die Corona-Krise hält weiter die Welt in Atem. Doch es gab noch wesentlich schwierigere Zeiten. Erinnert sei insbesondere an die dramatischen Jahre in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit zwölf Mil...
Die Corona-Krise hält weiter die Welt in Atem. Doch es gab noch wesentlich schwierigere Zeiten. Erinnert sei insbesondere an die dramatischen Jahre in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit zwölf Millionen Heimatvertriebenen.
Als außerordentlich problematisch gestaltete sich vor 75 Jahren im Landkreis Kronach die Integration der vielen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten. Die Situation am 29. Oktober 1946 (erste Volkszählung nach dem Krieg): 14 266 Flüchtlinge, 3272 Evakuierte und 458 Ausländer. Das Hauptkontingent stellten die Sudetendeutschen (6344) und die Schlesier (6143). Riesenprobleme ergaben sich besonders für die landwirtschaftlich strukturierten Dörfer. So betrug der Flüchtlingsanteil bei der Bevölkerung oft mehr als 40 Prozent. Spitzenreiter waren Schwärzdorf (57,5 Prozent), Steinbach an der Haide (53,7) und Beikheim (41,6). Ende 1949 hielten sich noch 14 207 Flüchtlinge, 2653 Evakuierte und 453 Ausländer im Landkreis auf.
Auf einen solchen Ansturm war niemand vorbereitet. Und es fehlte in diesen turbulenten Zeiten an allem. Besonders hart waren die ersten beiden Winter für die Neubürger. Viele lebten in kalten, ungeheizten Räumen, da eine zusätzliche Beschaffung von Öfen kaum möglich war.
Der Initiative vom Flüchtlingskommissar Alfred Tuma war es zu verdanken, dass dem größten Notstand, dem Mangel an Öfen und Herden, einigermaßen abgeholfen werden konnte. In zwei Orten wurden in großer Zahl kleine Sparherde ausschließlich für Heimatvertriebene hergestellt, deren Verteilung lediglich durch das Flüchtlingskommissariat erfolgte. Auch war es möglich geworden, einen kleinen Posten Schuhe (70 Paar) über das Wirtschaftsamt freizubekommen.
Ein großes Problem für die Neuankömmlinge war die Versorgung mit Glühbirnen, denn von deren Zuteilung hing die Arbeitsmöglichkeit in Form von Heimarbeit ab. Zunächst standen nur 15 zur Verfügung. Vielfach wohnten die Heimatvertriebenen auch in entlegenen, im Winter völlig abgeschnittenen Orten des Frankenwaldes, so dass eine andere Verdienstmöglichkeit nicht gegeben war.
Die Einbürgerung von Tausenden innerhalb kürzester Zeit erzeugte natürlich Spannungen, die erst allmählich abgebaut wurden. "Einsicht, vielleicht auch Gewöhnung, tragen erfreulicherweise nach und nach zur Überwindung der anfänglich unüberbrückbar scheinenden Gegensätze bei", schrieben 1947 Neue Presse und Kronacher Volksblatt.
Ein Riesenproblem hatte Tuma mit der Lebensmittelversorgung der Neubürger. Dazu sein Aufruf: "Das Jahr 1947 wird uns in ernährungsmäßiger Hinsicht ganz große Schwierigkeiten bereiten. Wir sind deshalb verpflichtet, jeden Quadratmeter Öd- und Brachland, jedes nicht bebaute Stückchen Erde zur Milderung der Ernährungskrise zu bebauen. Viele müssen zur Zeit untätig sein und wären froh, einige Quadratmeter Boden pachtweise zur Verfügung gestellt zu bekommen. Wir bitten deshalb alle Bürgermeister und Gemeinderäte dieser Tatsache in vollster Aufgeschlossenheit Verständnis entgegenzubringen. Gebt den Heimatvertriebenen die Möglichkeit, die Ernährung sichern zu helfen. Stellt freiwillig Boden zur Verfügung! Willi Assion, Referent für Obst- und Gartenbau (Landratsamt Kronach), steht gerne mit Rat und Tat zur Seite."