Schrecken in dritter Generation
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Mittwoch, 24. Juni 2015
Vor der Premiere Das Landestheater bringt mit der Familiensaga "Eisenstein" ein zeitgenössisches Stück in das Große Haus, das die Verstrickung der Jungen in die Entscheidungen der Alten verfolgt.
von unserem Redaktionsmitglied
Carolin Herrmann
Coburg — Eisenstein ist ein Grenzort zwischen Bayern und Böhmen. Mehr noch, der Eiserne Zaun führte jahrzehntelang mitten durch das Bahnhofsgebäude, die eine Hälfte gehört auch heute noch zu Deutschland, die andere zu Tschechien. Eisenstein war jahrhundertelang ein bedeutender und nach dem Zweiten Weltkrieg dann verhinderter, in seinen ursprünglichen Lebensfunktionen abgeschnittener Transitort.
"Eisenstein" hat der renommierte Theaterautor Christoph Nußbaumeder seine dramatische Familiensaga genannt, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart spielt, die zeigt, wie Generation um Generation verquickt bleibt mit den historischen Ereignissen. Die im Grunde über das biblische Motiv der "Erbsünde" theatral nachdenkt, am Beispiel konkreter Menschen. Die "Sünden der Väter" lasten auf den Kindern, ob dies nun gerecht ist oder nicht.
Familien sind geprägt von lange zurückliegenden Geschehnissen, ob dies im Bewusstsein ist oder meist eher nicht. Familie ist der unausweichliche Transitort für die Kinder. Das Stück wurde 2010 am Schauspiel Bochum uraufgeführt.
Das Landestheater Coburg bringt das als radikal, emotional intensiv und von fast klassischer Wucht beschriebene Schauspiel als letzte Produktion der Saison auf die Bühne des Großen Hauses, Premiere ist am nächsten Samstag, Wiederaufnahme im Herbst ist geplant. Als Regisseur wurde der neue Intendant des Ludwigshafener Theaters im Pfalzbau, Tilman Gersch, verpflichtet. Der war am Staatstheater Wiesbaden zuvor sieben Jahre Schauspielleiter, hat schon, wie er sagt, quer durch die ganze Republik an großen und kleinen Theatern inszeniert und pflegt jetzt in Ludwigshafen die Kooperation mit großen und kleinen Bühnen. Für die nächste Saison ist auch ein Coburger Gastspiel dort geplant.
Die Gesten der Großeltern
Gersch kommt im Gespräch mit dem Tageblatt sofort auf seine eigene Familiengeschichte, die Geschichte seiner aus Pommern und Schlesien vertriebenen Eltern, die nie über die Vergangenheit sprechen wollten, deren Verhaltensweisen Gersch aber selbst noch in seinem Sohn wiedererkennt. In "Eisenstein" sieht er eben solch unmittelbare Geschichtsverwicklung jedes Einzelnen packend dargestellt. "Wie schreibt sich Geschichte in den Familien, in den Generationen fort, die Ängste, die Traumata, all das Unausgesprochene?", fragt Gersch mit dem vielfach ausgezeichneten Autor Nußbaumeder.
Erzählt wird in "Eisenstein" die Geschichte der Familie Hufnagel. 1945 findet die Vertriebene Erna Schatzschneider Unterschlupf auf dem Sägewerkshof von Josef Hufnagel. Der muss glauben, dass Ernas dann geborenes Kind Georg sein Sohn ist.
Er verspricht Erna, sie zu unterstützen, wenn sie schweigt. Doch Erna täuscht den Hofbesitzer. Die Ereignisse spitzen sich zu, als sich Georg als junger Erwachsener in die Tochter Josefs verliebt; für Josef bahnt sich Inzest an.
Der 1978 in Eggenfelden geborene Autor zeigt an seinen Figuren, wie Krieg und Vertreibung, das Flüchtlingselend, Wiederaufbau und Streben nach Reichtum und Karriere weiterwirken und das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik prägen. Nußbaumeder endet bei den Enkeln im Jahre 2008.
Das Holz des Sägewerkes wird in der Coburger Produktion die Bühnengestaltung (Henrike Engel) auch symbolisch prägen, kündigt Gersch an. Das "tolle Schauspielstück" will er unmittelbar und direkt inszenieren.