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Schorsch spricht kein Syrisch


Autor: Michael Busch

Herzogenaurach, Montag, 24. November 2014

Flüchtlinge  Die Handpuppe des Bayerischen Roten Kreuzes war dennoch wichtig bei der Kontaktaufnahme mit Flüchtlingskindern. Die Rotkreuzler Kirsten Fraedrich und Bastian Selig erzählten im Liebfrauenhaus von ihren Erfahrungen.


von unserem Redaktionsmitglied 
Michael Busch

Herzogenaurach — Die Augen blitzen auf. Auch ohne Gedanken lesen zu können, weiß man, was die elfjährige Schülerin in diesem Moment denkt. "Cool, keine Schule und die bekommen keinen Ärger!" Keine Hausaufgaben, keine Tests - das hört sich im ersten Moment erst einmal verführerisch an. Doch das Glitzern in den Augen weicht ganz schnell einem betroffenen Blick. Denn die Alternative für das "Schulfrei" ist nicht wirklich toll.
Die Klasse 6a der Mittelschule des Liebfrauenhauses in Herzogenaurach widmete sich einem aktuellen Thema: den Flüchtlingen, die unter anderem in Herzogenaurach, in anderen Sammeleinrichtungen im Landkreis Erlangen-Höchstadt sowie der Stadt Erlangen untergebracht sind. Um nicht nur zu erfahren, "was eh' in der Zeitung steht", hatte die Klasse sich besondere Gäste eingeladen.
Kirsten Fraedrich und Bastian Selig erzählten den Schülern von den Flüchtlingen. Was die Erzählungen so spannend machte, war die Tatsache, dass die beiden ehrenamtlich beim Bayerischen Roten Kreuz arbeiten. Dieses war unter anderem bei der Flüchtlingsbetreuung und dem Bau der Unterkünfte eingebunden.
Zunächst erhielten die Schüler allerdings erst einmal "knallharte Fakten". Sie erfuhren, wie eine Erstaufnahmeeinrichtung funktioniert, wie lange die Flüchtlinge dort untergebracht sind und was dort alles passiert. Mit der Theorie war allerdings schnell Schluss, denn die spannenden Berichte reizten regelrecht zu interessanten Fragen. Beim Thema Gesundheitsuntersuchung fragte Stella: "Habt Ihr eigentlich Probleme mit Ebola gehabt?"
Bastian Selig, der bei diesen Untersuchungen mitgearbeitet hat, beruhigte die Schülerin. "Nein, die Flüchtlinge hier in der Region kommen zum einen in der Regel nicht aus Afrika, also den Ebolagebieten", erklärte er. Außerdem sei die Inkubationszeit recht lange, sodass die Krankheit bereits auf der Flucht erkennbar wäre. "Es ist wahrscheinlicher, dass ein Urlauber Ebola nach Deutschland bringt, als ein Flüchtling."

Nur wenige bleiben

Angst vor einer "Überfüllung" Deutschlands durch Asylbewerber brauche niemand zu haben, erklärten die beiden Fachleute. Denn nur die wenigsten Asylbewerber werden von den rund 35 000 Asylbewerbern in Bayern im Jahr 2014 anerkannt werden. "1,7 Prozent, nicht ganz zwei Personen bei hundert Bewerbungen, erhalten die Aufnahme wegen politischer oder sonstiger Verfolgung", sagt Kirsten Fraedrich. Ein Drittel darf aus humanitären Gründen in dem Bundesland bleiben, indem sie untergebracht wurden. Zwei Drittel werden nicht anerkannt und zurück in ihre Heimatstaaten geschickt.
"Und die Kinder?", die Frage kommt von mehreren Schülern. "Die bleiben mit ihren Familien erst einmal hier. Diese Familien kommen in der Regel aus den Krisengebieten, in denen das Leben der Menschen gefährdet ist." Fraedrich erklärt aber auch, dass eine Flucht ja kein "Spaziergang" sei. "Die sind zum Teil Wochen unterwegs. Zu Fuß, mit dubiosen Schleppern, über das Meer auf überfüllten Booten."
"Was machen die Kinder den ganzen Tag, wenn sie keine Schule haben?" Es scheint unvorstellbar zu sein, dass diese jungen Flüchtlinge in den Zelten den ganzen Tag nichts tun. Das ist auch nicht der Fall, erklären Selig und Fraedrich.
"Wir haben zum Beispiel unseren Schorsch", sagen sie. Beim Erklären nimmt Fraedrich die Handpuppe hoch und winkt in die Runde der Schüler. Sofort gibt es ein Grinsen und die Schüler winken zurück. "Genau das passiert auch in den Flüchtlingslagern", sagt Fraedrich. "Die Kinder sprechen nämlich in der Regel weder Deutsch oder Englisch. Schorsch kann diese sprachlichen Grenzen aber überwinden. Mit Gesten und seiner knuffeligen Art gewinnt er die Kinderherzen für sich.

Sprachbarrieren überwinden

Wenn Kinder aufgrund von Schorsch lachen, wissen die Helfer, dass sie ihre Arbeit richtig machen. Selbst das Grinsen der Kinder beim Öffnen der Hygienebeutel sorgte für den einen oder anderen verwunderten Blick. Fraedrich erzählt, dass die Kinder dieselben Hygienebeutel wie die Erwachsenen erhalten haben. "Die kleinen Jungs bekamen Rasierzeug. Die schauten schon komisch!"
Die zwei Stunden mit viel Information und Fragezeit ging aus Sicht so manches Schülers viel zu schnell vorbei. Das Thema ist allerdings noch nicht beendet. Denn nun will die Klasse den Flüchtlingen helfen. Gestartet wird in dieser Woche mit einem Pausenhofverkauf zugunsten der Flüchtlinge in Herzogenaurach.