Schmidt Schnauze als Leitfigur
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Dienstag, 19. Juli 2016
70 Karikaturen im Medienhaus haben den im vergangenen Jahr gestorbenen Über-Kanzler zum Thema. Sie versetzen in eine Zeit, die noch politische Charakterköpfe kannte - und lösbare Krisen.
Rudolf Görtler
Das Lotsen-Motiv wird gleich mehrfach strapaziert. Ursprünglich im englischen Magazin "Punch" 1890 veröffentlicht als Kommentar zum Abgang des Reichskanzlers Bismarck, münzen es einige Zeichner um auf den Bundeskanzler (von 1974 bis 1982) und danach schier ewigen Altkanzler Helmut Schmidt. Was einiges aussagt über die karikierte Person und deutsche Befindlichkeiten.
Zu sehen ist der Lotse Schmidt mehrfach in der Ausstellung "Helmut Schmidt in Dur und Moll": Der Staatsmann (1918 bis 2015) gesehen in 70 Karikaturen von 27 Zeichnern, die von etwa 1968 bis zu seinem Tod entstanden sind. "Eine sehr deutsche Biografie", sagte der Zeithistoriker Andreas Dornheim von der Bamberger Universität während einer Midissage, an der auch OB Andreas Starke und der Geschäftsführer der Mediengruppe Oberfranken, Walter Schweinsberg, teilnahmen.
Chronologisch geordnet, taucht eine längst vergangene Ära im Spiegel
der Karikaturen wieder auf, interessant wohl vor allem für die Generation 50 plus, aber auch für Jüngere, die zeitgeschichtliche Kenntnisse sammeln möchten. Es ist eine Ära, die - vielleicht ist es auch nur die Verklärung, zu der Erinnerung immer neigt - geprägt war von noch national lösbaren Krisen: Ölkrise mit autofreien Sonntagen Ende 1973, RAF-Terror, der im deutschen Herbst 1977 kulminierte, aber auch das Ende der historisch einmaligen fordistischen Wohlstandsphase nach dem Zweiten Weltkrieg, der Beginn der Globalisierung, Arbeitslosigkeit, Inflation. Und heftige Auseinandersetzungen in der Sozialdemokratie.
Dabei kam Helmut Schmidt nicht aus dem Nichts, wie Dornheim erläuterte und auch die durchaus ambivalente Haltung des Wehrmachtsoffiziers Schmidt zum Nationalsozialismus nicht aussparte.
In der Kriegsgefangenschaft mit sozialdemokratischen Ideen in Kontakt gekommen, machte der Volkswirt in der SPD der Nachkriegszeit rasch Karriere. Einer breiteren Öffentlichkeit als Krisenmanager während der Hamburger Flutkatastrophe von 1962 bekannt geworden, reüssierte der geradezu exemplarische Hanseat als Vorsitzender der SPD-Fraktion, als Verteidigungs-, Finanz- und Wirtschaftsminister und schließlich als Bundeskanzler. Nach seinem durch ein Misstrauensvotum erzwungenen Rücktritt wurde Schmidt Verleger und vor allem Elder Statesman, eine hymnisch und unkritisch fast angebetete Leitfigur.
Dies reflektiert die Ausstellung kaum, wohl aber das sozialdemokratische Jahrzehnt mit "Schmidt Schnauz" an der Spitze. Eine ganze Epoche wird wieder lebendig. Für zeitgeschichtliche Hilfestellung sorgen präzise und recht ausführliche Erläuterungen neben den Zeichnungen.
Die sind mal gut, mal weniger gut gelungen: Horst Haitzinger und Dieter Hanitzsch stechen heraus, A. Paul Weber ("Alles unter [s]einer Mütze") steht mit weitem Vorsprung an der Spitze. Wer erinnert sich noch an "Klotz Kluncker", an Hans Apel, an die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Jusos und rechtem SPD-Flügel, zwischen auch Willy Brandt und Schmidt, um die so genannte Nachrüstung? Wenn man die Parole "Freiheit statt Sozialismus", CDU-Wahlslogan von 1976, wieder liest, denkt man auch an den Wahlkampf von 1980, den erbittertsten in der Geschichte der BRD, mit Schmidt und Franz Josef Strauß als Kontrahenten, und sehnt sich nach solchen politischen Kalibern in Zeiten des Mainstreams und der Langeweile.