Schlicht ist ganz schön schwierig
Autor: Brigitte Krause
Haßfurt, Montag, 15. Februar 2016
In den ersten Nähstunden entsteht gegenwärtig bei den Kursen für die neue heimische Tracht ein erstes Grundelement: Eine einfache Bluse aus dünnem weißen Baumwollstoff stellt Anforderungen an das handwerkliche Geschick.
Brigitte Krause
Ratterratterratter... Die Nähmaschinen laufen auf Betriebstemperatur, die Frauen haben rote Wangen, verstrubbelte Haare, volle Konzentration. Denn weißer Stoff hat keine Vorder- und keine Rückseite. Jedenfalls auf den ersten Blick. Und deswegen gilt größte Wachsamkeit, wie man die Teile zusammennäht. Nicht, dass es dann nicht passt!
"Ich kann's fühlen, die eine Seite ist glatter", sagt Anni Ernst und erntet einen skeptischen Blick. Die Maßschneiderin steht als Garant für den später einwandfreien Sitz des guten Stücks. Für jede Frau hat sie im Vorfeld nach deren Maßen die Teile aus dem Stoff geschnitten - insgesamt alleine bei der Bluse über 200 Einzelteile! Jetzt liegen da vor jeder zwei gegengleiche Ärmel, zwei gegengleiche Vorderteile und ein Rückenteil.
Um Stoffvorder- und -rückseite auseinander zu halten, markieren Stecknadeln jeweils die Seite, auf der genäht wird.
Viele Frauen in dem Kurs, der wegen der großen Resonanz auf je vier Termine in der Woche in Untermerzbach, Untersteinbach sowie Haßfurt freitags und samstags aufgeteilt wurde, können nähen, andere bewegen sich das erste Mal auf dem Terrain.
"Ich konnt' heut' Nacht schon nicht schlafen", bekennt eine Näherin: "Die Modenschau!" liege ihr im Magen. Da müssen alle mitmachen, bestätigt Kulturbeauftragte Renate Ortloff, und beschreibt einmal mehr die Eckdaten für die Bluse. Sie muss - wie die ganze Tracht - bestimmten Kriterien genügen, damit sie im Sinne des Projekts "Gemeinsamkeit vollenden - Neue Haßberge-Tracht" als Teil der Tracht durchgeht. Schließlich gibt es Leader-Geld, also einen Zuschuss aus Europa.
Tracht ist Trend.
Und über 40 Frauen aus dem ganzen Kreis machen mit, damit ist das Projektziel, Gemeinsamkeit zu stiften, im Grunde schon voll aufgegangen. Wie auch weitere Ziele: alte Handwerkskunst zu beleben, generationenübergreifend zu wirken - Mütter und Töchter sind dabei - und bürgerschaftliches Engagement zu erzeugen.
Freilich hat es hier nie eine Tracht gegeben, erklärt Renate Ortloff, die selbst aus der Rhön stammt und das Gefühl von Heimat kennt, wenn sie ihre Wegfurter-Tracht trägt. Wird die Haßberge-Tracht Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugen? Immerhin, in Untermerzbach steht schon fest, dass die Trachtenfrauen unbedingt antreten, wenn die Kommission für "Unser Dorf soll schöner werden" im Sommer anrückt.
Ortloff hat als Assistentin von Ex-Landrat Rudolf Handwerker miterlebt, wie stark der Landkreis Haßberge innerlich bis heute auseinanderdriftet: Die Menschen in den früheren Kreisen Haßfurt, Hofheim, Ebern haben eine andere Orientierung - gut zu sehen an den Autos mit den neuen HOH- und EBN-Schildern. Renate Ortloff hat seit Weihnachten 2014 nicht nur Bücher studiert und Heimatgeschichtler befragt, sie fuhr kilometerweit im Kreis umher und spürte alter Kleidung nach. "Maroldsweisach und Lendershausen sind wahre Fundgruben!" In Eltmann ging ihr das Herz auf: "Da fand ich alles bestätigt, was ich bereits wusste."