Publikumsbepöbelung inklusive
Autor: Markus Häggberg
Bad Staffelstein, Sonntag, 25. März 2018
Zwei Lauser aus Coburg bieten bei der Kis herrlich Verstörendes und nicht zuletzt: multiple Ohrgasmen.
Sie sehen aus wie zwei Lauser - der eine kultiviert, der andere derangiert. Steckenbach & Köhler leisteten sich am Samstagabend in der Alten Darre herrliche Verstörungen und hatten ein großes Ziel: multiple Ohrgasmen.
Orgiastischer Blödsinn zwischen schief sitzender Frisur, Publikumsbepöbelung und Hochmusikalität. Die Kis lud und das musikkabarettistische Duo aus Coburg füllte das Haus bis auf beinahe den letzten der 80 möglichen Plätze. Man kennt das schon bei der Kultur Initiative Bad Staffelstein (Kis), man kommt aber gerne wieder, um Zeuge zu werden, wie das Coburger Duo mit Erfahrungen aus dem Quatsch-Comedy-Club oder dem Schmidt-Theater in Hamburg auf beengtem Raum wüten kann.
Keine Fluchtmöglichkeit
Fluchtmöglichkeit ist in der Kleinkunst einem Publikum nicht gegeben, was vor allem mehrere Damen erfahren durften. Denn als Tenor André von Streckenbach mit Head-Set und in Weste mit Frack samt Schwalbenschanz den Raum betrat, ließ er sich ein ums andere Mal hinreißen, in einem Anfall von Erotisierung Frauen die Frisur zu verwuscheln. Doch so schlimm wie den armen Arzt Matthias in der ersten Sitzreihe traf es niemanden. Dass er an diesem Abend von Streckenbach dazu verdonnert werden könnte, "Je t'aime" hauchen zu müssen, hätte er sich bestimmt nicht träumen lassen. Aber selbst in solchen Situationen ist es den "Opfern" kaum gegeben, ernstlich böse zu sein. Denn erstens sollten sie eine ungefähre Vorstellung davon haben, worauf sie sich bei dem Duo einlassen und zweitens sind sie nun mal anwesend.
Der Pianist ist die arme Sau
Doch es sind nicht nur die skurrilen Momente, welche das im besten Sinne merkwürdige Duo aus dem Hut zaubert. "Bad Staffelstein sehen und sterben", war eine von Streckenbach in seiner Begrüßung untergebrachte geglückte Spitze. Womit man beim humorigen Kern wäre, beim Ordnungsprinzip innerhalb des Duos: Der Sänger betont merkwürdig oft, wie begabt er selbst ist und lässt an seinem Kompagnon kein gutes Haar, moderiert und gibt die Richtung vor, der Pianist hingegen hat zu spuren und ist die arme Sau. Und das Publikum weiß nicht, warum es stets Mitleid mit dem Kerl hat. Weil er andauernd unterdrückt wird oder weil er so debil schaut und frisiert ist, als ob er gegen eine Schleuse geschwommen wäre? Doch bricht Alexander Köhler, der in Nürnberg Klavier studiert hat, aus, dann zeigt sich, was er kann und wer er ist. Zwischen Rachmaninow und Jerry Lee Lewis ist er zu Ausbrüchen fähig, immer begleitet von eigenwilliger Mimik.
André Streckenbach, der auch eine Künstleragentur betreibt, hat an der Hochschule in Weimar Gesang studiert und ist gleichsam virtuos unterwegs. Dabei nutzt er seinen lyrischen Tenor sehr wohl dazu, auch ernste Seiten zu zeigen. Beispielsweise nach der Pause, als er ein Liebeslied aus der Feder eines verfolgten jüdischen Komponisten sang. Doch man darf annehmen, dass dahinter auch eine dramaturgische Raffinesse steckte, denn umso größer ist der Effekt, wenn man sich im Anschluss wieder stierigen Blickes an Matthias aus der ersten Reihe vergeht.
Mit Liedern aus unterschiedlichen Dekaden des 20. Jahrhunderts, unter anderem dem 1920 entstandenen "Whisper", das in Deutschland als "Lass mich dein Badewasser schlürfen" bekannt wurde, begeisterte Streckenbach. So wie er es auch bei dem Titel "Schilddrüsenunterfunktion" tat, der zu den kostbarsten musikalisch-textlichen Lustlosigkeiten zählen dürfte. Denn egal, ob Streckenbach von Musik, wildem Sex oder religiösem Eifer sang, vorgetragen mit Schilddrüsenunterfunktion wurde aus allem ein herrlich lauer Wind. Für besonderes Lokalkolorit sorgte zudem das Wort Uetzing, von Streckenbach aufgeschnappt und als Running Gag mit chinesischem Akzent versehen. Nach zweieinhalb Stunden war ein Programm irgendwo zwischen Hochkultur und gepflegter Peinlichkeit beendet. In die Erinnerung dürfte es als Kis-Highlight eingehen.