Druckartikel: Piotr Anderszewskis radikal subjektiver Blick auf Johann Sebastian Bach

Piotr Anderszewskis radikal subjektiver Blick auf Johann Sebastian Bach


Autor: Jochen Berger

Coburg, Dienstag, 10. Februar 2015

Coburg — Das Warten ist vorbei. Endlich. Piotr Anderszewski ist wieder da. Mehr als ein Jahr Auszeit hat sich der polnische Pianist vom Trubel des internationalen Konzertlebens gen...
Piotr Anderszewski Foto: Ari Rosner


Coburg — Das Warten ist vorbei. Endlich. Piotr Anderszewski ist wieder da. Mehr als ein Jahr Auszeit hat sich der polnische Pianist vom Trubel des internationalen Konzertlebens genommen. Jetzt ist er zurück - und wie: mit einer bemerkenswerten Einspielung von Bachs "Englischen Suiten".
Anderszewski wird gerne als hyperkritischer Ästhet der Klassik-Szene apostrophiert. Erspielt hat sich der Künstler dieses Renommee vor allem mit seinem unerbittlichen Anspruch an sich selbst, mit seinem Streben nach Perfektion, das sich kaum kümmert um braves Bemühen um (vermeintliche) Stiltreue.
Wer also bei Piotr Anderszewskis neuer CD eine Bach-Interpretation mit ganz eigenen Akzenten erwartet, der wird gewiss nicht enttäuscht. Denn Anderszewskis Bach ist radikal subjektiv, ohne dabei freilich willkürlich zu wirken. Anderszewski nimmt sich scheinbar jede Freiheit in Tempo wie Dynamik, in der Artikulation wie im Ausdruck. Dennoch entsteht nie der Eindruck, hier strebe ein Künstler nur nach äußerer Originalität.
Die radikale Freiheit der Interpretation wirkt bei diesem Pianisten vielmehr getrieben von der Suche nach der Wahrheit hinter dem bloßen Notentext. Mit feinsten klangfarblichen Nuancen, mit sorgsamer Kunst der Phrasierung zieht Anderszewski seine Zuhörer in Bann. Die erste, dritte und fünfte der "Englischen Suiten" hat der Pianist für seine Aufnahme ausgewählt. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken dabei jeweils die langsamen Sätze - die Sarabanden, die Anderszewski betont ruhig im Tempo auffasst. Doch trotz der bisweilen extrem leisen Stellen fehlt in keinem Moment die innere Spannung. Aber auch in den raschen Tanzsätzen überzeugt Anderszewski. Mit rhythmischem Elan, mit stets lebendig atmender Phrasierung und feinsinnig diferenzierter Artikulation verwandelt er die einzelnen Sätze in Charakterstücke.
Trotz namhaftester Konkurrenz im CD-Katalaog: eine unbedingt hörenswerte Bach-Deutung. J.B.