Notgeld in der Geldnot
Autor: Redaktion
Haßfurt, Montag, 01. August 2016
Den Inhalt der Kugel vom Südturm der Haßfurter Stadtpfarrkirche Sankt Kilian stellt der Stadtarchivar Thomas Schindler vor.
Ein schweres Unwetter eröffnete am 5./6. Juli 2015 einen Blick in die Geschichte: Damals riss der Sturm die Kirchturmkugel von der Spitze des Südturmes der Pfarrkirche, und diese öffneten die Verantwortlichen der Stadt: In einer im Inneren aufgehängten kupfernen Kartusche steckten vor allem zahlreiche mit Schreibmaschine beschriftete Blätter. Der Archivar Thomas Schindler stellt sie hier genauer vor.
Die Blätter enthalten jeweils mehrseitige Berichte aus den Jahren 1959 und 1969, die die Entwicklung der Stadt Haßfurt seit der davor letzten Öffnung der Turmkugel im Jahr 1895 wiedergeben.
Während an den ersten Bericht eine Liste mit den Zahlen der ab 1945 in Haßfurt aufgenommenen Flüchtlinge und Evakuierten angefügt ist, enthält ein dreiseitiger Anhang des zweiten die Kosten der von der Stadt in den vorausgegangenen zehn Jahren durchgeführten Vorhaben: etwa der Bau des Schutzhafens oder des Gymnasiums am
Dürerweg. Mit den Schriftstücken befanden sich auch noch fünf Geldscheine aus den Inflationsjahren 1922/23 in der Kugel.
Die Not mit den Banknoten
Da während der Hochinflation im Sommer und Herbst 1923 der Kurs der Mark schon innerhalb eines Tages rasant fiel, hatte die Reichsdruckerei große Mühe, Banknoten in immer höheren Wertstufen schnell und in ausreichender Menge herzustellen. Unter anderem behalf man sich daher damit, ältere Geldscheine einfach mit einer neuen Wertangabe zu überdrucken. So auch bei einem der Exemplare aus der Turmkugel: Die 1000-Mark-Note der Reichsbank von 1922 wurde später einfach mit dem diagonalen roten Überdruck "Eine Milliarde Mark" versehen.
Zahlreiche Städte und Gemeinden versuchten dem Mangel an Zahlungsmitteln dadurch zu begegnen, indem sie eigenes "Notgeld" herausgaben. Ein Beispiel hierfür ist der in der Turmkugel verwahrte "Gutschein" der Stadt Bamberg über zwei Millionen Mark.
Das sichere Gold
Die Stadt Haßfurt orientierte sich bei der Ausgabe ihres "wertbeständigen Notgeldes" an der stabilen Goldwährung der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg: Die Wertangaben der von der "Tagblatt"-Druckerei im Auftrag der Stadt hergestellten Scheine lauten auf eine halbe und auf eine Goldmark, von denen je ein und zwei Exemplare in der Kugel enthalten sind. Ende 1923 entsprach eine Goldmark einer Billion Papiermark.Ein weiteres, vom seinerzeitigen Stadtarchivar Hansmartin Kehl unterzeichnetes Schreiben gibt Auskunft, dass bei der Öffnung 1969 alle damals noch in der Kugel befindlichen älteren Dokumente herausgenommen wurden. Sie werden seitdem mit Kopien der Niederschriften von 1959 und 1969 im Stadtarchiv aufbewahrt.
Hierbei handelt es sich zum einen um handgeschriebene Texte, die während des 19. Jahrhunderts verfasst wurden - vor allem ebenfalls Beschreibungen der aktuellen Situation der Stadt, nämlich aus den Jahren 1820, 1851 und 1895 (aus dem letztgenannten Jahr stammt zusätzlich eine Chronik der Feuerwehr). Zum anderen waren auch verschiedene Druckschriften beigelegt: So etwa aus den Revolutionsjahren 1848/49, Proklamationen des bayerischen Königs Maximilian II. und je ein Exemplar der Reichsverfassung sowie der Grundrechte des deutschen Volkes, weiter Jahresberichte der Haßfurter Lateinschule (1849, 1850, 1894, 1895), aber auch etwa ein katholisches Sonntagsblatt von 1851 oder das "Haßfurter Tagblatt" vom 27. April 1959.
Anstelle letztlich wertloser "Papier-Millionen" legte man in früheren Jahrhunderten den Schriftstücken meist einige der damals gültigen Kleinmünzen bei. Auch diese wurden 1969 mit den älteren Dokumenten vom Stadtarchiv übernommen: fünf zwischen 1804 und 1817 geprägte bayerische Münzen im Wert von einem bis 20 Kreuzer, dazu je ein bayerischer Heller (1849), ein halber Kreuzer des Großherzogtums Würzburg (1811) sowie eine kleine Silbermünze des Hochstifts Würzburg mit dem Wappen von Fürstbischof Johann Gottfried von Guttenberg (1697).
Als Besonderheit kommt noch eine so genannte Denkmünze zur Erinnerung an die Hungerjahre 1816 und 1817 hinzu, die jedoch kein Zahlungsmittel war. Diese Medaille war ursprünglich in einen zusammengefalteten Zettel eingewickelt, auf dem vermerkt ist, dass sie am 12. August 1820 von dem elfjährigen Schüler Joachim Albert Lotz, Sohn des gleichnamigen königlich bayerischen Rentbeamten, "zum Andenken für die künftige [!] Jahrhunderte in diesem Thurmknopf [...] hinterlegt worden" sei.
Die Inflationsgeldscheine mit den Berichten von 1959 und 1969 liegen inzwischen wieder in der Turmkugel. Dazu kam nun noch ein weiterer, ganz aktueller Bericht über die zahlreichen Veränderungen, die sich in der Stadt Haßfurt seit 1969, also während der letzten 47 Jahre, ergeben haben. Wann wird die Turmkugel wohl das nächste Mal geöffnet und was wird dann neu mit hineingelegt werden? ts