Nicht jede Kante auf null senken
Autor: Thomas Heuchling
Neustadt bei Coburg, Donnerstag, 07. August 2014
Interview 31 Prozent der Neustadter sind 60 Jahre oder älter. Aber für die Wahl des Seniorenbeirates fehlen noch Kandidaten. Der Vorsitzende des Beirats Oskar Wagner und Detlef Heerlein, der Demografiebauftragte der Stadt, sehen die Neustadter Senioren dennoch in einer guten Lage.
Neustadt — Im Herbst stehen die Wahlen für den Seniorenbeirat in Neustadt an. Noch gibt es nicht genügend Kandidaten. Der Demographie-Beauftragtem der Stadt Detlef Heerlein sieht darin eine Bestätigung für die gute sozialpolitische Arbeit der Stadt. Oskar Wagner, der amtierende Vorsitzende des Beirats, sieht bei vielen Menschen der Generation 60 plus eine Art Scheu-Grenze. In Sachen Seniorenfreundlichkeit in Neustadt sind sich beide fast immer einig.
Was ärgert Sie zur Zeit am meisten im Bezug auf die Seniorenfreundlichkeit in Neustadt?
Oskar Wagner: (lacht und überlegt lang) Da kann ich ihnen praktisch gar keine Antwort geben. Wir haben eine recht gute Harmonie innerhalb der Stadt, vor allem mit dem Demographie-Beauftragtem der Stadt Detlef Heerlein und Gabriele Amend von der Stadtverwaltung.
Was sind aktuelle oder laufende Projekte zum Thema Senioren in Neustadt?
Wagner: Wir versuchen einmal im gesellschaftlichen Bereich und im Bezug auf die Betreuung, wie zum Beispiel Einkäufe, die Situation der Leute zu verbessern. Im Stadtteil Haarbrücken haben wir ja schon das Projekt "Hallo Nachbar". Da läuft es recht gut. Dieses Projekt wollen wir auf das gesamte Stadtgebiet ausweiten. Das soll aber nach und nach passieren.
Heerlein: Es steht eine ganze Menge an. Wir haben einen Demographie-Leitfaden entwickelt. Die gute Beratung im Familienzentrum kann man noch weiter ausbauen. Zusätzlich gibt es die Vortragsreihen die regelmäßig stattfinden. Unsere Senioren haben sehr gute Möglichkeiten sich zum Beispiel zu Themen wie Krankheit oder Patientenverfügung zu informieren. Bei allen Umbauten zum Thema Barrierefreiheit im öffentlichen Raum haben wir einen Konflikt. Die einen sind Radfahrer, Kinderwagen oder Rollatorfahrer, die sagen: absenken auf null. Macht man das in aller Konsequenz kommt der Sehbedindertenbeauftragte und sagt: Eine Absenkung auf null geht nicht, da Sehbehinderte mit ihrem Stock eine Kante zum Abtasten brauchen. Denn kommt der Bautechniker und sagt: Er braucht so und so viele Zentimeter, damit das Wasser abfließt. Da muss man einen Kompromiss finden. Bei der von Herrn Wagner angesprochenen Initiative "Hallo Nachbar" wollen wir gucken, ob wir diese auf das ganze Stadtgebiet auszuweiten.
Bei solchen Projekten muss man erst den Bedarf ermitteln. Für mich gibt es nichts schlimmeres als ein großes Projekt zu machen und dann festzustellen, dass der Bedarf gar nicht da ist.
Im Herbst steht die Wahl zum neuen Seniorenbeirat an. Was müssen potenzielle Kandidaten mitbringen?
Wagner: In der Satzung ist geregelt das weder Stadträte, Angestellte der Stadtverwaltung oder Vorsitzende der Parteien wahlberechtigt sind. Es sind keinerlei kommunalpolitische Kenntnisse notwendig.
Berufliche Kenntnisse spielen natürlich mit rein. Ich habe 30 Jahre die gemeinnützige Wohnungsbau Neustadt geleitet. Da kommt im Bezug auf behindertengerechtes Wohnen ein gewisses Hintergrundwissen zusammen. Ich will damit sagen, dass die Leute aus verschiedenen Kreisen kommen sollten, wie in einem Stadtrat. Jeder kann sein eigenes Vorwissen einbringen.
Es fehlen ja noch Kandidaten für die Wahl des Seniorenbeirats. Worin liegt die Ursache für dieses Problem?
Wagner: Ich habe mit Kollegen in Bayreuth gesprochen, die haben ähnliche Probleme. Man findet einfach keine Leute über 60, die noch bereit sind zu kandidieren. Deshalb ist mein Vorschlag das Mindestalter in der Satzung auf 55 Jahre zu senken. Den Grund für die mangelnde Bereitschaft kann man nur vermuten: Schön ich bin Rentner, ich mach das nicht mehr. Mit 60 Jahren haben viele Leute so eine Art Scheu-Grenze.
Heerlein: Wo die Welt, in diesem Fall im Bereich der Senioren, noch einigermaßen in Ordnung ist, da läuft der Laden. Dann denken die Mitglieder von Zeit zu Zeit, wir brauchen ja gar nix zu machen. Das gleiche Szenario kann man auch auf Vereine beziehen.
Erst wenn es Probleme gibt und der Vorstand komplett zurücktritt, dann werden die Mitglieder aktiv. Entweder den Verein gibt es dann nicht mehr oder es stehen plötzlich zehn oder zwölf Leute bereit.
Zudem haben wir mit Dr. Gerhard Beyer einen Seniorenbeauftragten der Stadt, der alle Sachen, die Senioren betreffen, versucht frühzeitig aufzugreifen. Parallel dazu haben wir einen Seniorenbeirat, bei dem die Leute wissen: "Wir sind da gut vertreten".
Könnte nicht auch der Arbeitsaufwand ein Grund sein?
Wagner: Für den Vorsitzenden, ja. Für die meisten anderen eher weniger. Wir müssen im Jahr lediglich vier Sitzungen abhalten. Es ist der Vorsitzende, der Stellvertreter, der Kassierer und der Schriftführer, die etwas zu tun haben.
Der jährliche Seniorennachmittag in Wildenheid, der sehr stark besucht wird, und Busfahrten müssen teilweise auch mit organisiert werden.
Herr Heerlein können Sie einen kurzen Überblick über die demographische Lage in Neustadt geben?
Heerlein: Die Altersstruktur ist mit anderen Städten vergleichbar. Es gibt keine Besonderheiten. Man muss die Region sehen. Der Landkreis Coburg hat sicherlich eine etwas höhere Altersstruktur als München oder Erlangen. Aber eine niedrigere Altersstruktur als die Landkreise Sonneberg und Kronach. Aktuell leben in Neustadt 31 Prozent über 60-Jährige. Das sind auch die Leute, die den Seniorenbeirat Wählen können. Also immerhin Eindrittel der Bevölkerung. Es zeigt den großen Anteil der Senioren an der Gesamtbevölkerung, Tendenz steigend. Somit haben sie eine Gewisse Macht, wenn sie sich beteiligen.
Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit zwischen Seniorenbeirat und Stadt?
Heerlein: Ich weiß wie sehr die politische Führung die Seniorenarbeit schätzt. Wir haben als eine der ersten Kommunen ein seniorenpolitisches Gesamtkonzept entwickelt. Dabei sitzen Verbände, Familienzentrum, Stadt, viele andere Leuten sowie ein außenstehender Partner, der so etwas kann, an einem Tisch. Durch Befragungen, Untersuchungen der einzelnen Verbände, die Seniorenarbeit machen, haben seitenweise Informationen gesammelt und ein Konzept gemacht.
Wenn Anregungen vom Seniorenbeirat, auch sehr einfacher Art, wie der Müllkübel der im Weg steht oder die zu hohe Bordsteinkante, kommen, dann versuchen wir das schnell umzusetzen oder zumindest eine Antwort zu geben.
Das Gespräch führte Thomas Heuchling