Neubauten überwuchern das Kulturland
Autor: Matthias Einwag
Lichtenfels, Freitag, 24. April 2020
Die Flächenversiegelung am Obermain hat nach Ansicht von Bezirksheimatpfleger Günter Dippold beängstigende Ausmaße angenommen.
Matthias Einwag Die Landschaft verändert sich. Über Jahrtausende hinweg geschah dies allmählich durch die Kräfte der Natur. Gegenwärtig verändert der Mensch das Aussehen von Umwelt und Natur rasend schnell. Wir sprachen mit Oberfrankens Bezirksheimatpfleger Prof. Dr. Günter Dippold über die Folgen, die das hat. Wenn man mit dem Fahrrad durch die Dörfer und Städtchen am Ob ermain fährt, dann sieht man deutlich mehr als würde man mit dem Auto fahren. Viele Gebäude in den Ortskernen sind unrenoviert, etliche sogar verfallen. Nimmt dieser Trend zu?
Günter Dippold: Zahlen gibt es nicht, aber gefühlt ja. Es gibt bei uns Dörfer ohne ein einziges Baudenkmal, abgesehen von der Ortskapelle. Am Rand des Ortes stehen stattliche Neubauten, die bestimmt nicht billig waren, und innerorts gammeln ältere Bauten vor sich hin. Man fühlt sich in die 60er und frühen 70er Jahre zurückversetzt, als Viele das Alte verachtet und dafür Neues geschaffen haben. Es bräuchte heute wieder einen Dieter Wieland, der damals mit seinen Filmen den Finger in die Wunde gelegt hat. Zeitweilig gab es ein gewisses Umdenken. Aber jetzt fahren viele Menschen und Kommunen (wieder) in den uralten Gleisen und reißen munter ab. Das hat im Übrigen auch eine ökologische Seite: Neu zu bauen bedeutet einen riesigen Energieaufwand.
Um es klar zu sagen: Es ist normal und ganz in Ordnung, dass etwas Altes verschwindet und Neues entsteht. Entscheidend sind das Tempo, das derzeit zu hoch ist, und die Qualität des Neuen.
Viele unserer Neubausiedlungen sind eher unansehnlich. Warum bietet die heutige Architektur keine originelle und landestypische Vielfalt, wie jene Gebäude früherer Generationen?
Mir scheinen da zwei Probleme vorzuherrschen: Unbedachtheit und Eigensinn.
Viele Bauherren überlegen nicht, was sie wirklich brauchen. Da entstehen Riesenkisten, die halb leer stehen; manche sind nach Jahrzehnten innen nicht einmal ganz ausgebaut. Oder man bedenkt nicht, dass man älter wird oder zu Schaden kommen kann. Gewundene Treppenanlagen vor der Haustür - wer soll die mal hochsteigen, wenn man nicht mehr jung und gelenkig ist? Wer sitzt eigentlich im fränkischen Dorf auf dem teuren Jodelbalkon? Man kauft viel Baugrund und schüttet ihn dann mit Splitt zu.
Baukredite sind derzeit billig zu haben. Da wird noch weniger nachgedacht. Wenn eines Tages die Zinsen anziehen, dann gehört der Bauherr seinem Haus.