Nach den Schlägen sah er Sterne
Autor: Sigismund von Dobschütz
Bad Kissingen, Freitag, 21. Mai 2021
Eine Schlägerei unter Brüdern endete für den einen im Krankenhaus. Der andere landete vor Gericht, das es als erwiesen ansah, dass er nach wochenlanger Provokation seinen betrunkenen Bruder vermöbelt hatte.
Die Schlägerei zweier Brüder endete für den einen kurzzeitig im Krankenhaus, für den anderen fast im Gefängnis. Zwar stand vor Gericht Aussage gegen Aussage, doch sprachen die Indizien letztlich für die Schuld des Angeklagten, weshalb er wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde. Außerdem wurde dem Adhäsionsantrag (zivilrechtliche Ansprüche) des Geschädigten auf Zahlung von 3000 Euro Schmerzensgeld und 50 Euro Schadensersatz stattgegeben.
Vor einigen Monaten hatte der Angeklagte, so der Vorwurf des Staatsanwalts, seinen Bruder durch Faustschläge an den Kopf "körperlich misshandelt und gesundheitlich geschädigt". Nach ärztlichem Befund führten diese Schläge zu Nasenbeinbruch und Schädelhirntrauma, zur Verstauchung der Halswirbelsäule und zum kurzzeitigen "Blackout".
Der Angeklagte widersprach dieser Schilderung. Vorausgegangen sei eine mehrwöchige Belästigung durch SMS mit Beleidigungen und Provokationen, die der Geschädigte an ihn und andere Angehörige versandt hatte. "Das können viele bestätigen." An jenem Abend habe er wieder eine solche SMS erhalten, weshalb er im selben Haus in die Wohnung des Bruders gegangen sei, um ihn zur Rede zu stellen. Der Angetrunkene sei auf ihn losgegangen. "Ich habe ihn zurück geschubst." In der einsetzenden Rangelei habe er den Bruder gegen eine Schrankwand gestoßen, dann sei dieser mit dem Kopf auf die Tischkante gefallen. "Dann war's vorbei." Die Lebensgefährtin des Angeklagten stieß dazu, versorgte den stark Blutenden und rief die Sanitäter.
Der Geschädigte bestätigte in seiner Aussage den Versand der provozierenden SMS aus Langeweile, schilderte den Verlauf aber anders: Er habe stark alkoholisiert am Tisch gesessen, als der Bruder plötzlich vor ihm stand. "Er hat direkt auf meinen Kopf eingeschlagen und mich beschimpft. Schon nach den ersten Schlägen habe ich Sterne gesehen." Auch nachdem er auf die Couch geflohen sei, habe der Bruder weiter auf ihn eingeschlagen. Dessen Partnerin habe ihm später empfohlen, einen Treppensturz als Ursache seiner Verletzungen anzugeben. Der Geschädigte war über drei Wochen krank, weshalb er den Antrag auf Schmerzensgeld stellte. Wegen des zu erwartenden Prozesses weigerte sich der Täter jedoch, das Geld zu bezahlen.
2,47 Promille im Blut
Die als Zeugin geladene Lebensgefährtin des Angeklagten konnte kaum zur Klärung beitragen. "Ich habe nichts mitbekommen." Weder bestätigte sie ihre angebliche Empfehlung des "Treppensturzes" noch habe sie die Sanitäter gerufen. Der Polizist, der das Opfer im Krankenhaus vernommen hatte, bestätigte die starke Alkoholisierung von 2,47 Promille sowie die Aussage des Opfers, er sei vom Täter und dessen Lebensgefährtin zur Falschaussage aufgefordert worden.
In seinem Plädoyer hielt der Staatsanwalt die Aussagen des Opfers "für stimmig". Dies würden die von ihm selbst im Krankenhaus gemachten Fotos seiner Verletzungen zeigen. Zwar sei der Angeklagte nicht einschlägig vorbestraft, doch sein Angriff sei als Kurzschlussreaktion nach vielen beleidigenden SMS möglich: "Das Opfer ist nicht gefallen, sondern wurde richtig vermöbelt." Die Lebensgefährdung wurde billigend in Kauf genommen. Er beantragte zwölf Monate Freiheitsstrafe zur Bewährung, eine Geldauflage von 2000 Euro und die Stattgabe des Adhäsionsantrags.
Der Verteidiger hielt dem das Argument "Aussage gegen Aussage" entgegen. Der Sachverhalt habe sich nicht bestätigt. Der Eintrag des Opfers im Bundeszentralregister zeige, dass dieser mehrfach wegen Körperverletzung und Beleidigung einschlägig aufgefallen ist, während dies für seinen Mandanten nicht gilt. "Die Angaben des Zeugen sind dünn", weshalb der Verteidiger einen Freispruch und die Ablehnung des Adhäsionsantrags beantragte.
In ihrem Urteil folgte die Richterin annähernd dem Strafantrag des Staatsanwalts, verzichtete aber wegen der ungünstigen Finanzsituation des Angeklagten auf eine zusätzliche Geldauflage. Es sei "nachweislich kein Treppensturz" gewesen, der zu den Verletzungen des Opfers geführt habe. Dies zeige der ärztliche Befund. "Die Verletzungen entstanden durch massiven Angriff auf den Kopf." Dem Angeklagten habe es nach den vorausgegangenen SMS-Provokationen "an diesem Abend einfach gereicht". Er habe die Situation "geschwächter Wehrhaftigkeit" des stark alkoholisierten Opfers für seinen "Überraschungsangriff" ausgenutzt.