Mit "A" wie Anstich fängt alles an
Autor: Michael Busch
Erlangen, Freitag, 13. Mai 2016
Der Berg bietet unglaublich viele Facetten. Buchstabe für Buchstabe wird der Berg von den Bergreportern betrachtet. Der Anstich, die "Braadwurschd" und "Cash-Cow" stehen am ersten Tag natürlich im Mittelpunkt.
A wie Anstich. Hände in den Himmel, Grinsen ins Gesicht und den Rempelmodus einschalten: Wer auf der Erlanger Bergkirchweih Freibier trinken will, muss dahin gehen, wo es wehtun kann. Zum Anstich ganz vorne an die Bühne.
Auf der steht ein Mann mit Holzhammer, traditionell der Oberbürgermeister. Pünktlich um Fünf schwingt der seinen Knüppel und haut einen Hahn mit roher Gewalt in die passende Öffnung eines Hirschen. Je nach Muskelkraft und Zielgenauigkeit braucht es mehr oder weniger viele Schläge bis das Bier fließt, und hunderte Steinkrüge schlecht eingeschenkt werden können.
Manche machen aus den Schlägen ein Politikum. Nur denen, die die Hände recken, ist das einerlei. Die schreien nur "Freibier" und denken "läuft". Nachdem das gebetsartige "Prosit der Gemütlichkeit" verklungen ist, wird es ernst.
Ethnologen würden das Spektakel, das sich nun abspielt, als wildes Stammesritual beschreiben. Aus der Luft schaut es beinahe zärtlich aus, wie sich die zahlreichen Hände in den Himmel heben, in der Menge verschmelzen und dabei gleichzeitig versuchen, dem Mann mit dem Hammer schöne Augen zu machen und "hier!" schreiend "nimm mich!" denken.
Aber Ethnologen sind eben Theoretiker. In der Praxis bedeutet Anstich die Ausweitung der Bierkampfzone. Plumpes Anstehen wird hier zum Freibier-Pogo, der entfernt an den Anti-Disco-Tanz erinnert, den "Sex Pistols"-Sänger Sid Vicious Ende der 70er auf einem Konzert im Drogenrausch erfunden haben soll. Dabei flutet die tosende Masse, die Arme nach oben reckend, gen Holzfass.
Überall sind Kameras, um den Ringkampf festzuhalten. Männer machen meistens den preußisches Schlachtruf "Immer feste druff" zur Maxime ihres Handels. Frauen verfolgen häufig eine etwas subtilere Kampftaktik und klettern auf Schultern, um die Freibier-Chancen zu steigern. Sogar Profis soll es geben beim Anstich, die gleich zwei oder drei schaumgekrönte Krüge den wilden Wogen entreißen.
Mit jedem Jahr ist der Anstich immer lohnenswerter. Von sechseinhalb in 2006, über siebeneinhalb in 2012, ist der Bierpreis vier Jahre später schon auf neun Euro geklettert. Das Schönste beim Anstich ist aber nicht die rasende Rendite, an die man denken muss, wenn man dem OB einen Krug aus den Händen reißen kann. Wichtiger ist, was drin ist im Krug. Heuer vom "Kitzmann" aus Erlangen. Sehr süffig. Sehr kalt. Gestern hat er übrigens nur fünf Schläge gebraucht, der Florian Janik (SPD). Bei der Generalprobe waren es noch zwölf.
Braddworschd - Bis zum heutigen Tag untrennbar mit der Bergkirchweih verbunden ist schon seit Ende des 18. Jahrhunderts die Bratwurst. Es gibt viel Lukullisches am Berg zu entdecken. Erst einmal natürlich gut Fränkisch. Schäuferle mit Kloß, O'batzter oder G'rupfter, Stadtwurst mit Musik und jede Menge Kraut.
Einzug genommen hat aber auch die internationale Küche, um nicht zuletzt die preußischen Bedürfnisse in der Siemens-Stadt zu befriedigen. Pizza findet sich ebenso wie Crepes und frittierte Champions. Aber Renner ist und bleibt die "fränggische Braddworschd". Auf keinen Fall zu verwechseln mit den fingerstiftgroßen Nürnbergern. In der Regel werden die Bratwürste im Weggla gegessen, also im Brötchen untergebracht. Wer es feiner und mit Teller will, lässt sich die zwei bis drei Würste auf Sauerkraut kredenzen.
In einer Schilderung des Theologiestudenten Heinrich Barleben von 1795 heißt es übrigens: "Bratwurstdämpfe steigen von 50 Rosten empor, überall klappern die Bierkrüge, die Buben laufen jubelnd mit ihren Eierringen herum, blasen auf ihren schnarrenden Trompeten und die Weiber kaufen Band zu den Schürzen ein." Von den Erlanger Studenten wurde die Bergkirchweih auch liebevoll "Bratwurstfest" genannt.
Letzter Tipp: Mit Senf und Ketchup outet man sich als Auswärtiger, denn der Franke liebt den puren Wurstgeschmack. mb
C ash-Cow - Der Berg ist wirtschaftlich für die Region wichtig. In den zwölf Tagen setzen manche der teilnehmenden Betriebe mehr um als im Rest des Jahres. Kurzes Rechenbeispiel: Bei einer Million Besucher geht man von mindestens einer Million gezapfter Maß aus, tendenziell eher mehr. Neun Euro pro Krug führen zu einem Umsatz von neun Millionen Euro - allein für's Bier.
Aber auch das Umland profitiert, denn der Berg wirkt sich auch auf Unternehmen in den umliegenden Landkreisen aus. So sind Dirndl und Lederhosen die Renner in einem Wachenrother Bekleidungshaus. Hochkonjunktur bereits vor dem Berg, da viele Menschen sich scheinbar berggerecht ankleiden möchten. Doch am Rande erwähnt: Die typische Bergbekleidung ist eigentlich Jeans und Hemd.
Um es mit der Wirtschaftlichkeit auf den Punkt zu bringen: Draufzahlen tut im Grunde nur der Berggast, der bekommt dafür aber viel Vergnügen.
In der nächsten Ausgabe geht es mit D(irndl), F(amilie) und E(inkehr) weiter.