"Meine Mama - die ist die Sonne"
Autor: Petra Mayer
Bamberg, Montag, 05. Dezember 2016
Christa S. starb vor dreieinhalb Jahren. Zurück blieben ihre beiden Töchter und Ehemann Lukas. Mit Hilfe der Initiative "ZwischenGeZeiten" lernen die drei Bamberger, mit dem Verlust umzugehen.
Wenige Tage noch, dann ist Weihnachten. Der Heilige Abend naht, den Mia und Anna nun schon zum vierten Mal ohne ihre Mutter verbringen. Leer bleibt der Platz am Familientisch, den Lukas S. (sämtliche Namen von der Redaktion geändert) am 24. wieder mit seinen beiden Töchtern deckt, nachdem alle gemeinsam das Abendessen zubereiteten. "Nur Mia und Anna gaben mir anfangs die Kraft, weiterzumachen", sagt der 43-jährige Witwer.
Ja, das Leben ging nach dem Tod von Christa S. weiter, die 2013 starb. Aber die Lücke, die die Bambergerin hinterließ, blieb. Schmerz und Trauer kennen keine Grenzen, keine Gesetzmäßigkeit. Das mussten auch Mia, Anna und ihr Vater erfahren. "Im Alltag ist man abgelenkt", sagt Lukas S.. Dann aber wieder kommen Momente, die die Gefühle aufwühlen - besondere Anlässe wie Weihnachten: "Manchmal ist Mama für mich schon weit weg. Aber an Weihnachten oder im Urlaub - da ist sie wieder da, wieder ganz nah", sagt die zehnjährige Mia.
Mit einem Urlaub verbinden sich eben auch die letzten glücklichen Erinnerungen. An die Ostsee reiste die Familie im Sommer 2013. Mia lächelt - und denkt an die Tage am Strand zurück. "Wir haben Beachvolleyball gespielt", berichtet ihr Vater. "Es war eine wunderschöne Zeit, an die ich heute wieder gerne zurückdenke, was für mich zunächst unvorstellbar war." Zu schmerzlich sei es gewesen, sich solcher Glücksmomente zu entsinnen, bevor der Witwer die Bamberger Trauerinitiative "ZwischenGeZeiten" fand und vieles leichter wurde.
Einen Trauerredner hatte der konfessionslose Bamberger gesucht, nachdem seine Frau im Urlaub innerhalb weniger Tage erkrankt und gestorben war. "Mit Schwindelanfällen hatte alles begonnen. Kein Arzt konnte sich erklären, was Christa hatte." Aus dem Leben gerissen wurde die 42-Jährige, an deren Grab schließlich Alexandra Eyrich sprach, die zuvor schon als zertifizierte Familientrauerbegleiterin gearbeitet hatte. Und nachdem sich Lukas S. professionellen Beistand für seine Töchter wünschte, begann die Leiterin der Initiative "ZwischenGeZeiten", mit Mia und Anna zu arbeiten.
"Nach dem Tod eines geliebten Menschen ist es für nahe Angehörige schwer, anderen die nötige Kraft und Aufmerksamkeit zu geben", sagt Eyrich. Zu schmerzlich sei der eigene Trauerprozess, der auch Lukas S. in der ersten Zeit nach dem plötzlichen Tod seiner Frau lähmte: "Ich konnte anfangs nur heulen. Auch begannen mich Verlustängste, die meine Töchter betrafen, zu quälen." Weder Freunden noch Verwandten wollte der Bamberger seine Mädchen in dieser Phase noch anvertrauen.
"Solche Ängste gibt es, wenn sich Menschen nach einem derartigen Schicksalsschlag in einem Gefühlschaos wiederfinden", sagt Alexandra Eyrich, die inzwischen mit einem fünfköpfigen Team aus den Bereichen Pädagogik, Psychologie, Sozialwesen, Kunst und Kultur arbeitet. "Unser Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen kreative Möglichkeiten zur Trauerbewältigung aufzuzeigen", berichtet die Leiterin der Initiative "ZwischenGeZeiten". So wird bei offenen Treffen auch nicht nur geredet: "Alle Sinne sollen angesprochen werden: Wir bieten Jungen und Mädchen Erlebnisse in der Natur, suchen die Verbindung zu Tieren, spielen Theater, musizieren oder basteln."
Zu spät
Mit Eyrichs Hilfe setzten sich Mia und Anna mit dem plötzlichen Tod ihrer Mutter auseinander. "Anfangs konnte ich gar nicht glauben, dass Mama nicht mehr lebt - bis ich sie im Krankenhaus gesehen habe", sagt Mia. Zum Abschiednehmen war es da schon zu spät, nachdem die 42-Jährige in den letzten Stunden ihres Lebens das Bewusstsein nicht mehr wiedererlangte.Diese letzte Begegnung aber machte Mia zu schaffen. "Wenn ich an Mama dachte, sah ich sie immer im Krankenhaus", meint die Fünftklässerin. Bis Mia über Alexandra Eyrich wieder Zugang zu den schönen Erinnerungen fand - wie eben die Tage am Strand im letzten gemeinsamen Urlaub.
"Inzwischen denke ich, wir schaffen das auch ohne Mama", sagt Lukas S. und lächelt seinen Töchtern zu. "Nur fehlt sie mir so sehr - an allen Ecken und Enden." Anna blickt auf und nickt bestätigend. Sie war drei Jahre alt, als Christa S. starb und verbindet mir ihr die wenigsten Erinnerungen. Unter dem Verlust leidet die Sechsjährige dennoch. "Ein Elternteil kann den anderen nicht ersetzen, so sehr sich der hinterbliebene Vater oder eine hinterbliebene Mutter auch bemühen", meint Alexandra Eyrich. Ein schmerzliches Defizit bleibt, mit dem alle zu leben lernen müssen.
Mia hat in den vergangenen Jahren begonnen, Aufgaben ihrer verstorbenen Mutter zu übernehmen, um ihren Vater zu unterstützen. "Im Haushalt kennt sie sich perfekt aus und hilft ihrem Papa oft, Dinge zu finden", sagt Lukas S.. Ja, und natürlich schmückte die Zehnjährige in der Adventszeit auch die Wohnung weihnachtlich. "Wie ich es früher mit Mama gemacht habe, die ich in solchen Momenten wieder besonders vermisse."
Es ist spät geworden. Draußen ist's dunkel. "Nachts sehe ich mir immer die Sterne an. Der schönste und größte - das ist Mama", sagt Mia noch zum Abschied. "Tagsüber denke ich - meine Mama, die ist die Sonne." Ihre kleine Schwester, die sich gerade eine dicke Wollmütze aufsetzt und zur Tür trottet, nickt. "Ja, und wir pflanzen jedes Jahr Sonnenblumen, die manchmal sooo groß werden - so groß wie Mama."