Mehr Mut zur Aufrichtigkeit!

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Michael Memmel Anonymität - die Grundlage für die Arbeit der Medien? So lautet der Titel einer Seminararbeit, an der gerade ein Abiturient des E.T.A.-Hofman...

Michael Memmel

Anonymität - die Grundlage für die Arbeit der Medien? So lautet der Titel einer Seminararbeit, an der gerade ein Abiturient des E.T.A.-Hofmann-Gymnasiums bastelt. Dieser Tage besuchte er die FT-Redaktion, um einige Fragen zu stellen. Der Tenor der Antworten lautete: Als Zeitung dürfen und können wir uns nicht hinter der Anonymität verstecken, unsere Stärke ist gerade, dass Redakteure und Mitarbeiter mit ihren Namen für die Richtigkeit der recherchierten Artikel bürgen.
In sozialen Netzwerken ist das anders - da wird gehetzt und gepoltert hinter der Fassade eines Pseudonyms. Aber auch Gespräche mit Informanten gestalten sich zunehmend schwierig, weil immer häufiger gebeten wird, unerkannt und unbenannt zu bleiben - und das nicht nur bei brisanten Angaben. Noch schlimmer: Jüngst hat sich ein Abonnent bei uns gemeldet, von dem kürzlich ein Leserbrief im FT erschienen war. Ein paar Tage später flatterte ihm ein anonymes Schreiben ins Haus - auf einem PC verfasst, die handschriftliche Unterschrift nicht lesbar. Der Text ist sprachlich durchaus ausgefeilt, geht jedoch am Ende auch unter die Gürtellinie mit Aussagen wie: "Ihre geistige Reife hat einige Mängel." Der Empfänger ist sauer auf den anonymen Briefschreiber: "Wer eine Meinung hat, sollte auch mit seinem Namen dazu stehen. Ist Ihnen das Porto mehr wert als Ihr Name und der Inhalt?"
Recht hat er. Es sollte sich endlich wieder die Erkenntnis durchsetzen, dass eine Meinung nur etwas wert ist, wenn sich eine Person auch dazu bekennt. Müsste das nicht der Gradmesser für uns alle sein: Kann ich hundertprozentig, auch vor fremden Menschen zu meiner Aussage stehen? Falls nicht, dann hat wohl mein Standpunkt ein Loch, und ich sollte ihn nochmal überdenken, bevor ich ihn äußere. Von wie viel unüberlegten, dummen Kommentare blieben wir verschont, wenn jeder Mensch fürchten müsste, dass alles, was er sagt und schreibt, mit seinem Klarnamen in der Zeitung gedruckt wird? Anonymität ist nicht die Grundlage für die Arbeit der Medien, zumindest der klassischen. Ihr Gegenteil ist es: Aufrichtigkeit. Ich würde mir wünschen, dass sie auch die Grundlage unserer Gesellschaft wäre.