Druckartikel: "Mauern sind auch mitten in uns"

"Mauern sind auch mitten in uns"


Autor: red

Bad Staffelstein, Montag, 03. November 2014

Jahrestag  Nicht weit von hier stand einst die innerdeutsche Grenze. Doch der 9. November 1989 änderte vieles.
Ein Teil der Mauer steht noch bei Görsdorf. Wildbienen nutzen heute die Hohlräume der Betonplatten zum Überwintern. Foto: Matthias Hagen


von unserer Mitarbeiterin Lisa Kieslinger

Bad Staffelstein — Hinter dem Tag des Mauerfalls steht für viele eine oft sehr persönliche Geschichte. Auch der evangelische Pfarrer von Bad Staffelstein, Matthias Hagen, hat seine ganz eigenen Erinnerungen an die Grenze. Diese nutzt er zum 25. Jahrestag des Mauerfalls für einen Gottesdienst. Mit seinen Eltern besuchte der Pfarrer als Kind öfters die Grenze. "Sie war für mich etwas ganz Normales. Ich bin damit aufgewachsen", erzählt er. Aber eine Erinnerung prägte ihn dennoch besonders.
Entlang des Zaunes ging der Pfarrer als Kind öfters mit seiner Familie spazieren und blickte in das dahinterliegende thüringische Görsdorf. "Meine Eltern waren mit uns Kindern ab und zu dort. Wir schauten in eine für uns geheimnisvolle und fremde Welt", erzählt Matthias Hagen.
Beim nächsten Besuch konnte die Familie nicht mehr in das benachbarte Dorf blicken. Eine 3,5 Meter hohe Mauer erhob sich mitten in der Landschaft und verdeckte ganz Görsdorf. "Trotz herkunftsmäßiger täglicher Grenzerfahrung im Coburger Land hat sich dieses Ereignis bis heute bei mir eingeprägt", sagt er. Diese Mauer steht heute noch in Görsdorf. Früher als Grenzanlage, heute als eine Art Mahnmahl.
"Selbst 25 Jahre später freue ich mich, wenn ich bei Rottenbach einfach weiterfahren kann. Meine Kinder kennen das gar nicht mehr", erzählt der evangelische Pfarrer. Aber auch viele ältere Leute hätten diesen Teil unserer Geschichte mit der Zeit verdrängt. "Die Witze über DDR-Bürger regen mich am meisten auf. Da ist überhaupt nichts Wahres dran", sagt er. Für den evangelischen Pfarrer gibt es selbst heutzutage noch einiges aufzuarbeiten. Der Gottesdienst soll ein Stück weit dabei helfen. Die Grenzsituation hier in der Region ist zu diesem Tag auf jeden Fall Thema des Gottesdienstes.
Mauern stehen auch noch heute beispielsweise zwischen Israel und Palästina, zwischen Afrika und Europa im marokkanischen Ceuta und zwischen USA und Mexiko, im Grunde überall auf der Welt. Mauern ziehen sich aber auch unsichtbar durch unser alltägliches Leben. Oft bauen wir durch Erfahrungen und Enttäuschungen Grenzen und Blockaden in uns auf, die wir nicht so leicht alleine überwinden können. "Mauern sind oft etwas Hartes, Kaltes und Menschenverachtendes, womit wir auch heute viel zu tun haben", so Matthias Hagen.

Gestaltung des Gottesdienstes

"Gottesdienste können - wie man heutzutage immer sagt - auch gerne mal Performance haben". Action und beeindruckende Bilder gehören für den evangelischen Pfarrer gerne mal dazu, besonders bei einem solchen Jahrestag. "Ein Bekannter besitzt eine Kartonagen-Fabrik. Da sind jetzt 2 000 Kartons für mich reserviert", erklärt der Pfarrer. Damit will er eine originalgetreue 3,50 Meter hohe Mauer durch den vorderen Teil der Kirche ziehen. "Ich will den Leuten zeigen, wie bedrückend eine solche Mauer sein kann." Hinter der Mauer sollen Informationen über die ehemalige DDR genannt werden, beispielsweise Anzahl der Fluchtversuche und Tote. Die Gottesdienstbesucher hören nur die Stimme des Sprechers. Vorne auf den Kartonagen sollen Bilder angebracht werden, die die vorgelesenen Fakten verdeutlichen. "Es gehört hier einfach zur Geschichte und darf nicht vergessen werden", appelliert der evangelische Pfarrer.
Sein größtes Anliegen ist es, dass die Leute mit den schlechten Witzen aufhören und endlich erkennen, wie schön die Städte der "neuen" Bundesländer sein können.