"Maria ist eine moderne Frau"
Autor: Marion Krüger-Hundrup
Bamberg, Freitag, 19. August 2016
Seit über 300 Jahren lockt das Muttergottes-Fest unzählige Gläubige auf den Kaulberg. Legenden, Geschichten und Fakten ranken sich um das fromme Ereignis.
Marion Krüger-Hundrup
Wenn Sie, liebe Leser und Leserinnen, heute Morgen Ihren FT zum Frühstück lesen, werden Ministranten der Oberen Pfarre die Bettdecke noch einmal über die Ohren ziehen. Denn sie haben bis fünf Uhr früh Nachtwache gehalten: an der Muttergottes mit dem Jesuskind, die zu ihren Festtagen vom 20. bis 23. August den angestammten Platz im Hochaltar verlassen hat.
Gestern um 21 Uhr begann für die jungen Leute ihr Ehrendienst in der nur sparsam beleuchteten Pfarrkirche "Unsere Liebe Frau" am Kaulberg. Pfarrer Matthias Bambynek gibt die Geschichte wieder, die sich um diese Nachtwache dreht, die in den kommenden Tagen auch von anderen Gruppen der Gemeinde geleistet wird: "In der Nazizeit wurde unser Gnadenbild während des Muttergottes-Festes beschützt, um die Gestapo abzuhalten."
Dieser Brauch hat sich nun durch die Jahrzehnte gehalten, auch wenn sich heutzutage natürlich keine finsteren Mächte
mehr an dem hochverehrten Gnadenbild aus der Zeit um 1310 vergreifen dürften. Unbezahlbar ist diese lebensgroße Maria aus Holz allemal. Und auch ihr barockes Festtagsgewand aus wertvollem Brokatstoff mit Goldfäden und die ungezählten Votivgaben am Gürtel haben nicht nur einen ideellen Wert.
Gewand im Seidenpapier
So wird das Gewand nach den Festtagen wieder sorgfältig in säurefreies Seidenpapier verpackt und in großen Kartons aufbewahrt. Diese hat Mesnerin Marion Schmittner mit ihren Helferinnen Annemarie Harizslak, Jutta Lichtenwald und Roswitha Deuber am Donnerstagnachmittag herbeigeschleppt, um die Muttergottes einzukleiden.
"Maria trägt auch Unterwäsche, damit am Holz nichts abwetzt", schmunzelt Annemarie Harizslak, die seit fast 50 Jahren bei diesen Vorbereitungen für das Fest dabei ist, "weil ich die Gottesmutter innig verehre und sie immer hilft".Auch Otmar Deuber bringt jahrzehntelange Erfahrungen bei der Prozedur mit. Die Marien-Kleidung besteht aus lauter Einzelteilen: "Da muss man schon wissen, wo was hingehört!" Und tatsächlich arbeitet die Crew - Gerhard Zankl gehört ebenfalls dazu - flugs Hand in Hand. Etliche Schaulustige verfolgen das Ganze in der Kirche, haben staunend miterlebt, wie die Muttergottes plötzlich aus dem Hochaltar verschwand. "Maria ist eine moderne Frau, die hat hinter dem Altar einen Aufzug!", lacht Harizslak. Dieser Lift besteht aus einer Hebebühne - Maria sitzt ansonsten immer darauf -, die mit Hilfe einer Seilwinde langsam durch den schmalen Treppengang hinter dem Altar heruntergelassen wird. Die Kraft eines Mannes genügt für diesen Akt: Christoph Kemmer hat ihn kurzerhand erledigt.
Adenauer horcht auf
Sein Onkel Kilian Kemmer, nunmehr Pfarrer in Höchstadt/Aisch und in der Oberen Pfarre aufgewachsen, wartet mit einer weiteren wahren Geschichte rund um das Muttergottes-Fest auf, die dessen Vater Emil Kemmer, Bamberger Bundestagsabgeordneter und Landrat, erzählen konnte. Emil Kemmer berichtete Konrad Adenauer, dem ersten deutschen Nachkriegsbundeskanzler, bei dessen Besuch in Bamberg 1952 von der großen Marienprozession, bei der die freudenreiche Madonna der Oberen Pfarre von 16 gestandenen Männern durch die Stadt zur St.-Martins-Kirche getragen wird und dort dem Gnadenbild der schmerzhaften Mutter begegnet.
"Wenn die Prozession nicht auszieht, gibt es Krieg", hörte Adenauer den Spruch des Volksmunds.
Lebendige Tradition
Bevor der Kanzler im September 1955 seine heikle Russlandreise antrat, um über den Status der deutschen Ostgebiete und die Befreiung der letzten 10 000 deutschen Kriegsgefangenen zu verhandeln, erinnerte er sich daran. Adenauer telefonierte mit Emil Kemmer und erkundigte sich, ob die Muttergottesprozession ausgezogen sei. "Nach der positiven Antwort war Adenauer erleichtert!", weiß Pfarrer Kilian Kemmer.Für Pfarrer Matthias Bambynek sind Geschichten dieser Art alles andere als "museale Erstarrung", sondern Beweis einer "lebendigen Tradition, die aufrecht bleibt". Denn die Fürbitte an die Gottesmutter um Frieden in einer friedlosen Welt "ist brennend aktuell". So hat der Pfarrer für die Marienfesttage 2016 auch das Leitwort gewählt: "Seid nicht geängstigt, fühlt euch gesegnet" - in jedweder Lebenssituation.