"Maggi" Magersucht entmachten
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Dienstag, 26. Oktober 2021
Depression Eine 26-Jährige spricht über die Macht der inneren Stimme, die das Essen verbietet, und vom Glück, vermeintlich Kontrolle über seinen Körper zu haben. Eine Leidensgeschichte.
Für ein Snickers hätte sie fast alles gegeben. Stefanie* liebt Snickers. Aber die Maggi in ihrem Kopf erlaubt es nicht. Maggi erlaubt ihr fast gar nichts. Essen darf sie nur, wenn sie sich vorher ordentlich bewegt, Gewichte hebt, ins Fitnessstudio geht oder durch den Wald joggt. Und weil Maggi so viel Macht über Stefanie hat, rennt und hungert sich die junge Frau die Kilos vom Leib. 1,83 Meter groß und irgendwann nur noch 50 Kilogramm leicht.
Dass Stefanie eine Essstörung hat, bemerkt sie mit 16 Jahren. "Es fing an, als mich mein damaliger Freund verlassen hat. Ich habe einfach aufgehört zu essen." Sie wurde dünner und dünner - aber wirklich gemerkt hat's keiner, sagt sie. Klar, Freunde hätte immer mal gesagt, sie mache zu viel Sport und esse zu wenig. Aber zwischendurch ging es ihr auch wieder besser. Bedrohlich sei das damals alles nicht gewesen.
Keine Lust auf Kontakte
Mit 19 Jahren zieht die junge Frau von zu Hause aus. 2019 lernt sie einen neuen Mann kennen und sie scheint alles gut im Griff zu haben. Doch dann kommt Corona. "Ich war viel daheim, viel allein und meiner Mama ging es schlecht. Sie kam mit Depression ins Krankenhaus", erzählt Stefanie. Das hat ihr zu schaffen gemacht. "Ich habe viel geweint, wollte nichts mehr unternehmen, hatte keine Lust auf Kontakte." Auch keine Lust mehr, etwas zu essen. Zehn Kilo hat sie im vergangenen Winter abgenommen. Im Januar wollte sie die Reißleine ziehen. Zusammen mit ihrem Freund wollte sie ihre Tyrannin Maggi in den Griff bekommen. Doch Maggi war stärker. "Wenn mein Freund nicht hergeschaut hat, hab ich das Essen weggeschmissen." Bei einer ambulanten Therapie wird schließlich festgestellt, dass das Gewicht von eben jenen 50 Kilogramm lebensgefährlich niedrig ist. Stefanie kann mittlerweile auch keine Treppen mehr steigen.
Wie ein Hamster im Rennrad
Die junge Frau lässt sich ins Bezirksklinikum Kutzenberg einweisen. Einen Monat bleibt sie dort. Doch wirklich helfen kann ihr keiner. "Mit Biegen und Brechen hab ich zwei Kilogramm zugenommen", sagt sie. Wie ein Hamster im Rennrad läuft sie täglich zehn bis 20 Kilometer. Körperlich geht es ihr immer schlechter.
Wieder daheim, schiebt sie Panikattacken, kauft sich Abführmittel und hat das Gefühl durchzudrehen. Einen Tag hält sie aus, dann geht sie zurück in die Klinik. Kommt in den geschützten Bereich. "Alles haben sie mir weggenommen. Meine Kopfhörer, meine Schminke, das Handy. Ich hab' nur noch geheult und war voller Angst", erinnert sie sich. Auch das war keine Lösung. Ihre Eltern dürfen sie schließlich abholen und ein paar Tage in Obhut nehmen.