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Kurze Auszeit bei Liedern mit Tiefgang


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Burgkunstadt, Donnerstag, 26. Januar 2017

Die behinderten Mitarbeiter in den Werkstätten von St. Josef in Burgkunstadt haben einmal in der Woche zwei Stunden früher Feierabend.
Lieder mit Tiefgang spielt das Duo "Südsüdwest" beim Ausgleichskonzert in den Werkstätten St. Josef in Burgkunstadt. Bassist, Sänger und Texter Gerhard Schubert (rechts) und Markus Appelius, der Gitarre spielt und die zweite Stimme singt, treffen mit ihren Songs den Nerv der Zuhörer.  Foto: Stephan Stöckel


Ein freudiges "Na, Na, Na" begleitet von einem fröhlichen Pfeifen hallt am Mittwochnachmittag durch die Kantine der Werkstätten St. Josef in Burgkunstadt - so vertraut und so heimelig wie eine altbekannte Weise aus seligen Kindertagen. Das erste Lied ist noch nicht einmal verklungen, da schweben die Zuhörer schon auf Wolke 7 und verlangen lautstark nach der ersten Zugabe. Sie bescheren den Akteuren des Liedermacherduos "Südsüdwest" einen Moment der Überraschung, denn für gewöhnlich erklingt der Ruf nach Verlängerung an ganz anderer Stelle.
Während sich Bassist und Sänger Gerhard Schubert keinen rechten Reim daraus machen kann, liegt für Gitarrist Markus Appelius, der in die Refrains immer wieder kräftig mit einstimmt, die Sache auf der Hand: "Geistig behinderte Menschen sind ein sehr ehrliches Publikum, das mit dem Herzen dabei ist." Der 41-Jährige muss es wissen - schließlich hat er als Sozialpädagoge in den Werkstätten St. Josef tagtäglich mit ihnen zu tun.
Wörter und Redewendungen, bei denen Nichtbehinderte stumm bleiben, lösen bei den Zuhörern aus der Werkstatt einen Lachanfall aus, weil sie diese zu wörtlich nehmen. Das Wort "Unterschied" nimmt Appelius allerdings ganz bewusst nicht in den Mund, denn schließlich ist für ihn kein Mensch perfekt. "Ob behindert oder nicht behindert - für mich sind alle gleich", betont er.


Reise durch die vier Jahreszeiten

Der Dialekt ist das sprachliche Mittel, mit dem Schubert seine poetische Reise durch die vier Jahreszeiten, die Natur und die Probleme in der Welt umsetzt. Heiter, ernst und in bilderreicher Sprache kommen die Texte der eingängigen Weisen daher. Worte des Schreckens lassen in dem Lied "Schläfer" über islamistische Selbstmordattentäter aufhorchen. "Auf amoll wähn se aufgeweckt fenn Teufl. Nehma Messe, Beile, Bomben unn Geweh. Schickn arma Leut nein Tuod wie auf die Schloachbenk." Und kontrastieren mit den fröhlich gezupften und gesungenen Melodien. "Ich habe diesen Kontrast ganz bewusst gewählt, weil ich für die Selbstmordattentäter nur Hohn und Spott sowie Verachtung übrig habe. Sie sind für mich keine Menschen mehr, sondern nur noch hasserfüllte Lebewesen."
Ein Patentrezept gegen die fanatisierten Attentäter hat auch Schubert nicht parat. Den Zuhörern gibt der 53-Jährige Gottvertrauen mit an die Hand: "Mit Gott durchs Leym ze gehen, des birgt a Lösung. Gottvertrauen, des könnte uns wirklich helf!"
Nicht nur den Behinderten, auch einigen älteren Mitbürgern aus Burgkunstadt geht an diesem Nachmittag das Herz auf. Sie klatschen und summen begeistert mit, während ihre Augen vor Freude glänzen. "Die besinnlichen Texte haben meiner Seele gutgetan, weil sie zum Nachdenken anregen und so inspirierend sind", sagt Sabine Kraus, die gemeinsam mit ihrem Mann Konrad das Konzert verfolgt. Ihre Freude gilt aber nicht nur den beiden Musikern, sondern auch den behinderten Zuhörern, von denen sich Nichtbehinderte eine Scheibe abschneiden könnten. "Sie sind viel anspruchsloser und freuen sich schon über Kleinigkeiten", meint die Burgkunstadterin. In einfachen Worten, bei denen es den Musikern warm ums Herz wird, bedanken sich die Zuhörer für das gelungene Konzert.


Entspannung nach der Arbeit

"Mir hat alles gefallen", sprudelt es aus dem 32-jährigen Markus aus Burgkunstadt voller Begeisterung heraus. Was haben ihm die lustigen und nachdenklichen Texte gegeben? "Ich konnte mich nach der Arbeit in der Korbflechterei entspannen."
Entspannung - ein Stichwort, das der Sozialpädagoge Markus Appelius gerne aufgreift. Das Konzert ist nämlich Teil des sogenannten Ausgleichs. Alle 14 Tage endet am Mittwoch die Arbeit zwei Stunden früher. Im Anschluss an ihre Arbeit können die Mitarbeiter aus einer Fülle von Angeboten auswählen, die die Persönlichkeit des Beschäftigten reifen lassen: Dazu zählen Exkursionen ins Tierheim, Reiten, Bauchtanzen oder der Besuch eines Konzertes. "Durch den Ausgleich wird der behinderte Mensch ganzheitlich gefördert. Er wird selbstständiger, selbstbewusster und auch sein Selbstwertgefühl wird gestärkt", spricht der Sozialpädagoge aus dem Musiker. Das Konzert mit Tiefgang hat dazu sein Scherflein beigetragen.