Das Grauen war oft ganz nah
Autor: Rainer Glissnik
Wallenfels, Mittwoch, 09. März 2022
Geschichte Heimatpfleger und VHS erinnerten in Wallenfels an die Todesmärsche 1945 im Raum Kronach.
Wallenfels — Die Gräuel und Schandtaten des Dritten Reiches ereigneten sich nicht nur weit weg von der heimischen Region, wie es oft erscheinen mag. Das Grauen war oft ganz nah. Allein im April 1945 bewegten sich mindestens drei Todesmärsche durch das Gebiet des heutigen Landkreises Kronach. Ortsheimatpfleger Franz Behrschmidt, der seit 1966 in Berlin lebende ehemalige Nordhalbener Horst Mohr und die Neustadter Stadtheimatpflegerin Isolde Kalter erläuterten in einer Veranstaltung der Volkshochschule den Stand der Forschungen und riefen dazu auf, ihnen eventuelle weitere Berichte und Erzählungen zukommen zu lassen.
„In den letzten Kriegswochen eskalierten die NS-Kriegsverbrechen “, erklärte der für die Außenstellen der Volkshochschule zuständige pädagogische Mitarbeiter Johannes Hausmann. „Wir alle müssen Verantwortung übernehmen für Mitmenschlichkeit, Frieden und Freiheit. Es ist unsere Aufgabe, daran zu erinnern, welche Unmenschlichkeit in der Geschichte passiert ist, und die Augen zu öffnen, wenn Menschen heute unter Unmenschlichkeit leiden müssen.“
Im Jahr 1945 rückten die alliierten Truppen von allen Seiten näher. Warum die Nazis die Konzentrationslager räumten, ist umstritten. Sollten Zeugen der Gräueltaten vernichtet werden? Jedenfalls wurden die Häftlinge auch in den Außenlagern auf Märsche geschickt, und fast überall verloren dabei viele Menschen ihr Leben. Einzige Ausnahme ist offenbar der Neustadter Marsch durch die Region, auf dem wohl niemand umkam. Lange wollte niemand etwas von solchen Märschen in der Region gewusst haben.
Der Wallenfelser Ortsheimatpfleger Behrschmidt interessierte sich schon immer für die Vergangenheit seiner Heimatstadt. In den letzten Jahren wollte er auch mehr über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in der Region wissen. Er erstellte eine Dokumentation der Gefallenen und Vermissten aus Wallenfels und führte Gespräche. Dabei erzählte ihm seine Nachbarin Marga Spranger, als Augenzeugin einen Todesmarsch durch die Flößerstadt erlebt zu haben. Innerhalb weniger Wochen hatte er drei weitere Zeitzeugen. Als dies in den heimischen Zeitungen veröffentlicht wurde, meldeten sich weitere Zeitzeugen.
Marga Spranger erlebte als Siebeneinhalbjährige den Zug der unglücklichen Menschen direkt vor ihrem Elternhaus. „Ein Zug von Sträflingen auf der Schützenstraße“, berichtete sie. Sie stand mit ihrer Schwester draußen. Ein Sträfling setzte sich erschöpft auf ihre Treppe. Die Schwester rannte ins Haus und holte ein Glas Wasser. Doch der Aufseher trieb den Mann weiter. In ihrer Erinnerung sieht sie die Sträflinge in ihrer Kleidung, manche hatten einen Turban auf. Nie konnte sie das vergessen. „Es war furchtbar.“
Franz Behrschmidt berichtete über weitere Zeitzeugen. So schrieb ihm Manfred Hentschel (geboren 1938) – dessen Bruder Peter (geboren 1939) war jetzt in Wallenfels dabei. Die Brüder waren damals als Flüchtlinge in Wallenfels . Sie erlebten, wie Menschen schreiend und weinend von Soldaten durch den Ort getrieben wurden. Eine Frau wollte einem Gefangenen einen Becher mit Wasser reichen, der der Frau von Bewachern aus der Hand geschlagen wurde.