Krimi mit viel Historie
Autor: Sigismund von Dobschütz
Bad Kissingen, Donnerstag, 12. Oktober 2017
Sigismund von Dobschütz Nicht viele Schriftsteller der Türkei konnten bisher den deutschen Buchmarkt für sich einnehmen. Und dies, obwohl Yasar Kemal (1923 ...
Sigismund von Dobschütz
Nicht viele Schriftsteller der Türkei konnten bisher den deutschen Buchmarkt für sich einnehmen. Und dies, obwohl Yasar Kemal (1923 - 2015) im Jahr 1997 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde und Orhan Pamuk (65) vor elf Jahren sogar den Literaturnobelpreis erhielt. Umso neugieriger machte der im September beim btb-Verlag veröffentlichte Kriminalroman "Die Gärten von Istanbul" von Ahmet Ümit. Der 57-Jährige ist einer der meistgelesenen Autoren seines Landes und gilt in seiner Heimat als ein Wegbereiter des anspruchsvollen Kriminalromans.
Einige seiner vielen seit 30 Jahren veröffentlichten Bücher - nur sehr wenige kennt man in Deutschland - wurden in der Türkei bereits verfilmt. Trotz der unbestrittenen Bekanntheit dieses Autors in seiner Heimat ist es wohl eher dem aktuellen Streit zwischen der Bundesregierung und dem türkischen Präsidenten Erdogan zu verdanken, dass gerade jetzt mit siebenjähriger Verspätung die deutsche Übersetzung des Kriminalromans "Die Gärten von Istanbul" des türkischen Bestseller-Autors in den Buchhandel kam. Schon mit dem Titelbild des Krimis wird dem Leser ein fremdartiges Flair vermittelt, zumal Istanbul als Handlungsort eines Kriminalromans für uns wirklich ungewohnt ist. Auch der Klappentext weckt durchaus hohe Erwartungen, erfreuen sich doch im Ausland angelegte Krimis mit touristisch interessantem Lokalkolorit auf dem deutschen Buchmarkt großer Beliebtheit. Der Roman hält sein Versprechen, ist tatsächlich ungewöhnlich und interessant. Ungewöhnlich ist in jedem Fall die Kombination aus Istanbuler Kulturgeschichte und Kriminalhandlung. Ungewöhnlich für einen Krimi ist sicherlich auch, dass der für die Aufklärung der Mordfälle verantwortliche Oberinspektor Nevzat selbst als Erzähler auftritt, der Krimi also in Ich-Form geschrieben ist. Doch je weiter man in diesem 730 Seiten starken Buch vorankommt, umso mehr erlahmt das Interesse: Die in Einzelheiten ausufernden Beschreibungen kulturhistorischer Hintergründe zur Geschichte Istanbuls seit Gründung des antiken Byzantion im Jahr 660 vor Christus durch Kaiser Konstantin I., der die Stadt als neue Zentrale seines Römischen Reiches gründete, bis zu dessen heute verbliebenen Erbe, dehnen das Krimi-Geschehen aus oder unterbrechen es sogar, wodurch die Spannung bald erlahmt. Da hilft auch nicht das Warten auf den nächsten der sieben Mordfälle, bei denen die Mörder ihre Opfer jeweils an historisch bedeutsamen Orten ablegen.
Mein Urteil ist zweigeteilt: Für kulturhistorisch Interessierte mag dieser Roman ein unterhaltsamer Leckerbissen sein. Wer aber nur einen Krimi in gewohntem Stil mit etwas touristischem Lokalkolorit erwartet, dürfte enttäuscht werden.