Kratzer im Putz
Autor: Eckehard Kiesewetter
Maroldsweisach, Mittwoch, 05. Juni 2019
Für ihre Masterarbeit im Fach Denkmalpflege untersucht Laura Deglmann Kunstwerke an alten Wirtschaftsgebäuden im Kreis Haßberge.
Eckehard Kiesewetter Kreis Haßberge — Die meisten Besitzer alter Fachwerkhäuser juckt das gar nicht: "Verzierungen im Fachwerk? Kratzputz, nie gehört", sagt der Besitzer eines Gehöfts im Eberner Stadtgebiet, der jüngst erst die Felder im Fachwerk frisch aufputzen ließ. "Sauber und glatt", wie er sagt. Vorbei ist's mit einem kunsthistorischen Schatz, den noch ein "Beweisfoto" vor der Renovierung dokumentierte.
In die verputzten Zwischenflächen im Fachwerk hatte der ausführende Handwerker damals Rahmen und dazwischen geometrische Formen gekratzt, Schlangenlinien. Fachleute nennen so etwas "Kratzputz".
Manchmal sind an den Fassaden Wellen zu sehen, manchmal Kringel, paragrafenartige Zeichen. Häufiger mal finden sich Initialen und Jahreszahlen. Seltenere Funde sind Sinnsprüche oder figürliche Darstellungen. An einer Scheune im Maroldsweisacher Gemeindegebiet hat Laura Deglmann, die gerade eine Magisterarbeit im Fach Denkmalpflege verfasst, sogar noch ein Hakenkreuz entdeckt.
"Die meisten Kratzputze stammen aus dem 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert", sagt die 26-Jährige, die Kratzputze in den Landkreisen Haßberge und Coburg erfasst. Die Arbeit wird Teil eines Projektes sein, das vor gut zehn Jahren im Freilandmuseum Bad Windsheim angestoßen wurde und frankenweit angelegt ist. Die ältesten bislang dokumentierten Kratzputze stammen aus dem Ende des 16. Jahrhunderts.
Die Zeichen wurden mit spitzen Gegenständen geritzt. Muster mit Reisig "gestupft", wie es in der Fachsprache heißt. Man musste den richtigen Zeitpunkt abpassen und dann schnell sein. Mancher Künstler hat auf diese Weise an diversen Gebäuden seine persönliche "Handschrift" hinterlassen. Sieht hübsch aus und hat obendrein praktische Funktion, denn die Ritzungen verändern die Oberflächenspannung, vermeiden Risse oder machen sie weitgehend unsichtbar.
Unterwegs auf Spurensuche
Laura Deglmann wird ihre Ergebnisse in eine Datenbank einpflegen und bis zum Abgabetermin Ende September mit anderen Befunden vergleichen und einordnen. Die Bereiche Pfarrweisach und Hofheim sind schon erforscht, auch Orte im Heldburger Land oder im Steigerwald. So ergeben sich regionale Unterschiede, was Zeit, Material und Ornamentik anbelangt. "Alle haben ihre Besonderheit", sagt die junge Wissenschaftlerin, im Vergleich zeige sich die Qualität. Nach den Orten des Marktes Maroldsweisach will sich die Studentin Dörfer im Seßlacher Gebiet vornehmen, Gleismuthhausen, Autenhausen und Merlach. Für Gemünda ist bereits ein reicher Schatz dokumentiert.
Wie kamen beide Gemeinden zu den wissenschaftlichen Ehren? "Wie die Jungfrau zum Kind", sagt Maximilan Neeb und lacht: "Wir in Seßlach sind ja mit Historischem reich gesegnet". Der neue Bürgermeister der Stadt (FW) ist "gespannt, was da zum Vorschein kommt". Vor ein paar Tagen hat er sich kundig gemacht. Mit seinem Maroldsweisacher Kollegen Wolfram Thein (SPD) begleitete Neeb die Studentin aus Pödeldorf durch Eckartshausen. In dem Dorf gibt es unterschiedlichste Kratzmuster und -techniken zu sehen. Deglmann spricht von einem "reichen Formenkanon". An einem Gebäude steht die Jahreszahl 1930, an einem anderen "Erbaut von Alfred Späth Anno 1935".