Druckartikel: Kopftritte kosten die Freiheit

Kopftritte kosten die Freiheit


Autor: Michael Busch

Erlangen, Donnerstag, 09. Januar 2020

Eine Schlägerei vor den Erlanger Arcaden führten bei dem Opfer zu einer Gehirnerschütterung, blutenden Ohren und seelischen Wunden. Bei den vier Angeklagten führte die Schlägerei zu drei Mal Jugendarrest und einer sofortigen Verhaftung.
Vor den Erlanger Arcaden fand die Auseinandersetzung statt. Keiner der Umstehenden hielt es für nötig, der am Boden Liegenden zu helfen. Bis auf eine 19-jährige Frau, die Zivilcourage zeigte.  Foto: Michael Busch


Michael Busch Die Situation im März war schon unübersichtlich. Zwei junge Frauen liegen in Erlangen vor der Einkaufsmall Arcaden am Boden und ziehen sich gegenseitig an den Haaren. Ein junger Mann tritt auf die eine am Boden liegende Frau, zwei weitere Heranwachsende stehen dabei und sind irgendwie bei dieser Auseinandersetzung beteiligt. Beleidigungen begleiten die körperliche Auseinandersetzung.

Diese Auseinandersetzung im vergangenen Jahr am 21. März führte dazu, dass die damals 18-Jährige, die am Boden liegend getreten wurde, in Folge ihrer Verletzungen Anzeige gegen diese Gruppe stellte. "Eine Anklage wegen Beleidigung und gemeinschaftlicher und damit gefährlicher Körperverletzung", wie die Staatsanwältin in der Anklage formulierte.

Drei Damen zwischen 18 und 19 Jahren alt sowie der 21-jährige Restaurantfachmann saßen mit ihren Pflichtverteidigern am Erlanger Amtsgericht vor den Augen Wolfgang Pelzls, der mühsam versuchte, das Geschehen des Tattages zu rekonstruieren. Mühsam, da die vier Angeklagten sich zum Tatvorwurf gar nicht äußern wollten. Die Beweisaufnahme wurde letztlich auf die Aussagen dreier Zeugen gestützt, wobei die Geschädigte eine der drei Frauen war, die in den Zeugenstand mussten.

Wichtigste Zeugin - und das zeigte sich nicht erst am Ende der Verhandlung - war eine 19 Jahre alte Kinderpflegerin, die zufällig am Tatort vorbeikam. "Ich danke Ihnen für Ihre Zivilcourage", äußerte die Nebenklägervertreterin bei ihrem Plädoyer. Eine Zivilcourage, die dazu führte, dass die Frau nicht nur versuchte das Opfer vor den Angriffen der vier Angreifer zu retten, sondern auch zu einer unabhängigen Aussage, da sie keine der Beteiligten kannte.

Sie bestätigte weitgehend die Vorwürfe der Staatsanwältin. "Der Mann hat nach der auf dem Boden liegenden Frau getreten", erzählte sie und schob entschuldigend hinterher: "Ich will da echt niemandem Schwierigkeiten machen." Letztlich habe sie es sogar geschafft, dass die Angreifer von dem Mädchen abließen und sich entfernten. Nach einem Trost des weinenden Opfers habe sie lediglich noch ihre Nummer hinterlassen, falls "da noch etwas komme".

Kopfschmerzen und eine Anzeige

Die Geschädigte hatte das zunächst gar nicht vor. Sie gab am Gericht zu: "Ich habe selber schon mal Scheiß gebaut und es waren doch Jugendliche!" Erst als ihre Mutter sie in Folge des Angriffs ins Krankenhaus bringen musste, da sie über Kopfschmerzen klagte, wurde die Polizei von der Mutter alarmiert. Aus den Ohren blutend, Kratzer, Schläge und Tritte gegen den Kopf waren wohl ursächlich für eine Gehirnerschütterung. Auf die Frage des Richters, ob sie noch Schmerzen habe, antwortete die Geschädigte: "Nein. Es sind auch nicht die äußerlichen Schmerzen, es sind mehr die innerlichen Wunden."

Sie habe es auch noch verkraftet, dass sie nach einem zweitägigen stationären Aufenthalt wenige Tage später wegen anhaltender Kopfschmerzen erneut für zwei Tage in die Klinik musste. Wesentlich schwieriger sei eine weitere Begegnung mit dem männlichen Aggressor gewesen. "Mir ging es gerade wieder ein wenig besser und ich bin im November wieder alleine in die Stadt gegangen", erzählte sie im Gerichtssaal.

Bei der Fahrt nach Hause habe der Mann aber mit im Bus gestanden und sie wieder mit Beleidigungen provoziert. Sie habe die Flucht nach Hause ergriffen, wo sie allerdings völlig von Sinnen ihr Zimmer auseinandergenommen habe. "Ich glaube, dass Mama da Angst hatte", erzählte sie. Ein Besuch in der Kopfklinik und die therapeutische Anfrage wegen einer posttraumatischen Therapiemöglichkeit beendeten die Idee, dass sie mit dem Vorfall im März innerlich abgeschlossen habe. Dieser Vorfall fand wenige Tage vor dem ursprünglichen Termin der Hauptverhandlung statt, der dann verschoben werden musste.

"Das geht nicht", erklärten die Staatsanwältin ebenso wie die Nebenklägerin. Es ginge schon die öffentliche Auseinandersetzung nicht, noch weniger könne toleriert werden, dass auf eine Person, die am Boden liegt, eingetreten werde. Bedingt durch das Alter der Täter sei Jugendstrafrecht anzuwenden, aber es handele sich nicht um eine Kleinigkeit.

Die Verteidiger sahen das naturgemäß anders. Freispruch forderten diese für die Mädchen, die sich an dem Vorfall beteiligt hatten, ein kurzer Jugendarrest für den Haupttäter, der der Verhandlung bis zu diesem Zeitpunkt annähernd emotionslos und mit starrem Gesichtsausdruck gefolgt war. Der änderte sich erst, als der Richter in seiner Urteilsverkündung dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgte und verkündete: "Der Angeklagte ist schuldig und wird zu einem Jahr Jugendhaft verurteilt. Des Weiteren erfolgt ein Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr."

Keinerlei Einsicht

Ratlos schaute der Mann seine Pflichtverteidigerin an, die ihm erklärte, dass er tatsächlich in diesem Moment nicht mehr als freier Mann das Gerichtsgebäude verlassen könne.

Pelzl erklärte, dass er davon ausgehe, dass das Urteil zumindest den Mann betreffend nicht rechtskräftig werde und es zu einer Verhandlung in der nächsten Instanz kommen werde. Da es bereits einen Vorfall gab, bei dem er die Geschädigte nochmals angegangen sei, müsse entsprechend reagiert werden.

Die drei Frauen kamen im Verhältnis zum Haupttäter mit einem blauen Auge davon. Zweimal zwei Wochen, einmal eine Woche Jugendarrest wurden ausgesprochen. Pelzl sagte, dass keine der Angeklagten Reue oder einen Funken Einsicht gezeigt habe. Zum Teil hätten die Angeklagten den Eindruck hinterlassen, dass sie an der ganzen Sache völlig unbeteiligt seien, obwohl alle Beweise und die Zeugenaussagen ein anderes Bild zeichneten.

In Richtung des Frischinhaftierten schob Richter Wolfgang Pelzl nach, dass dieser durch diese fehlende Einsicht und die verwerfliche Tat an sich gezeigt habe, dass er nicht bereits war, sich mit dem Vorfall auseinanderzusetzen. Gespräche mit Experten zur Sozialisierung habe er abgelehnt, weil er diese nach eigenen Angaben nicht brauche. "Wer nicht an sich arbeiten will, an dem arbeiten wir", beendete der Richter die vierstündige Verhandlung.